TRACTAT DES M.
FRANCESCO
BOCCHI
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Damit wollte er aussprechen, dass der seiner Natur nach
so abstossende und der, Schönheit so gegnerische Tod jenen
Verstorbenen die Kräfte nicht soweit entzogen hatte, dass sie
nicht, Dank dem fortgesetzten Ausdrucke von Lebendigkeit,
auch nach dem Erlöschen schön geblieben wären. Um aber auf
das zurückzukehren, was zu diesem Tractate eigentlich gehört,
sei bemerkt, dass weder die Sculptur, noch auch die Malerei
Alles wiederzugeben vermag, womit Lebendigkeit zu wirken
pflegt. Da sie vielmehr nur den Ausdruck einer Handlung
dem menschlichen Gebilde und seinen Gliedmassen aufprägen
können, so hat manidahin zu trachten, dass dieselben dieser
Handlung und der ganzen Figur entsprechen. So that es vor-
trefflich und mit grossem Verständnisse Donatello bei der Statue
des heiligen Georg, deren prächtige, heroische, ja göttliche
Formen derart lebendig wirken, dass sie sich zu irgend welcher
edlen und ausgezeichneten Handlung in Bewegung zu setzen
scheinen. Es ist hier kaum noch nothwendig, diesen Vorzug
an der Statue näher nachzuweisen, da derselbe sich derart selbst
offenbart, dass Jene, welche so viel Lebendigkeit ausgeprägt
sehen, nur bewundern und fast eine noch weitere Wirkung
solcher Lebendigkeit durch irgend welche Handlung zu er-
warten scheinen. Ob dieses Vorzuges ward von vielen Schrift-
stellern die Venus des Praxiteles viel gepriesen, die so leben-
dig erschien, dass sie einen Jüngling zu einem lasciven und
obscönen Acte verführte. Doch die an der Statue des heiligen
Georg aiusgeprägte Lebendigkeit ist solcher Art, dass sie das
Gemüth erhebt, und indem sie durch so viel hervorragenden
Werth hohe Gedanken und edle Bestrebungen erweckt, beweist
sie gleichzeitig, dass das Werk weder wegen der Technik, noch
wegen der Idee irgend welchem andern nachsteht. Ja, es gibt,
meiner Ansicht nach, nur wenige Arbeiten, welche in gleichem
Grade Ausdruck und Lebendigkeit vereinigt zeigen; denn, so
schwer ist es, eine jede dieser beiden Eigenschaften für sich
zum Vorschein zu bringen, dass ein Werk schon durch eine
derselben bewunderungswürdig wird. Noch mehr aber scheint
Alexander der Grosse verlangt zu haben, welcher, sein von
Apelles gemaltes Ebenbild prüfend, erkannte, dass das Werk, an
und für sich, wegen Mangel an Ausdruck, weder werthvoll,