TRACTAT DES M. FRANCESCO BOCCHI etc.
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darum, weil jeder Theil an ihr, sowohl an und für sich ge-
nommen, als auch mit Beziehung auf die übrigen Theile, schön
und nicht blos vom Standpunkte der Kunst, sondern auch von
jenem der Natur aus bewunderungswürdig erscheint, und von
letzterer gleichsam approbirt wird. Damit aber Weder im Ge-
sichte, noch im Seelenausdrucke eine Ungleichheit zum Vor-
scheine käme, welche (wie ich denke) immer Hässlichkeit er-
zeugt, vertheilte der Künstler die Ausdruckshoheit des Antlitzes
auch auf alle übrigen Theile des Körpers und verband und
zergliederte sie gleichzeitig in unglaublich schöner Weise. Und
in Wahrheit: wer das Werk genau betrachtet, wird ohne
Zweifel erkennen, dass Arme, Kopf, Hände, Beine, Füsse und
Brust so künstlerisch, so vortrefflich mit einander harmoniren
und so ausgezeichnet dem Gesichte entsprechen, dass, selbst
wenn ein Theil vom anderen getrennt oder abgebrochen werden
sollte, er dennoch als ein Glied eines tapferen, kriegerischen
und hochgesinnten Mannes erscheinen würde. Der Philosoph
verlangt in seiner „Poetik", die Schriftsteller mögen sehr dar-
auf sehen, dass der Ausdruck der Gedichte ein berechtigter,
und dem, was wahr oder wahrscheinlich ist, entsprechender
sei; man erkennt nun deutlich, dass dieses Gesetz von Dona-
tello beim heiligen Georg mit hohem Verständnisse befolgt
ward, da hier alle Gliedmassen in massvoller Uebereinstimmung
mit dem Ausdrucke harmoniren, und jedes von ihnen nicht
nur zum anderen passt, sondern zu demselben, förmlich natur-
gemäss, nothwendig gehört. Das muss uns zum sprechenden
Zeichen dienen, dass die Statue selbst, sowohl Wegen ihrer ein-
zelnen Theile als auch wegen ihres Ausdruckes, vollkommen
und bewunderungswerth ist. Sieht man dieselbe an, so entsteht
in uns nicht blos kein Unbehagen, sondern vielmehr ein ange-
nehmes Gefühl, denn der Anblick der Schönheit, verbunden
mit Lebhaftigkeit, erhebt uns fast mit Gewalt zu derselben Em-
pfindung, welche an der Statue so vortrefflich ausgedrückt ist.
Ausserdem, wie es im gewöhnlichen Verlaufe der Dinge ge-
schieht, dass, wenn uns ein Mann begegnet, dessen Person zwar
kräftige und männliche Formen nachweist, dessen Stirne aber
einen niedrigen und feigen Ausdruck bietet, er uns Langweile
und Verdruss bereitet und uns durchaus keine grossherzigen