TRA CTAT
DES M.
FRANCESCO
BOCCHI etc.
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Gesinnungen, welche selbst allerdings durch keinen Stoff dar-
gestellt werden können, dennoch aber Wirkungen erzeugen,
die es ermöglichen, dass man, wie Petrarca sagt, das Herz auf
der Stirne lese. Doch kann es mitunter auch vorkommen, dass
Dasjenige, was bei Menschen bald mittelst der Gliedmassen, Be-
weguxigen und Worte derselben, bald auf ihrer Stirne zum
Ausdrucke gelangt, das Gesagte theilweise nicht bestätige, und
dass die Ausdrucksarten des Antlitzes den Worten, jene des
Körpers dem Gemüthe nicht entsprechen. Wohl ist es wahr,
dass eine kleine und hagere Statur mit dem Ausdrucke, der ja
im Antlitz sich ausprägt, nichts zu schaffen hat; dennoch be-
nimmt uns eine solche den Glauben, dass dahinter irgend welche
Kraft vorhanden sei; so auch, wo eine gewisse Majestät der
ganzen Erscheinung fehlt. Darauf nun verwenden die Künstler
ihr ganzes Studium, und sobald nur Spuren des Höheren auf
dem Antlitze vorhanden sind, fügen sie aus Eigenem bei, da-
mit dieser innere Werth auch an der äusseren Gesammterschei-
nung erkannt werde. Es hat Einige gegeben, auf deren Antlitz
während ihres ganzen Lebens derselbe Ausdruck bemerkt wurde,
wie man dies von Sokrates vielseitig behauptet. Bei diesen,
glaub' ich, dürften die von den Malern und Bildhauern zu
nberwindenden Schwierigkeiten leichtere sein als bei Solchen,
welche fortwährend von vielen und verschiedenen Gedanken
oder Empfindungen, innen beschäftigt, gleichsam auch mit
vielen und verschiedenen Ausdrucks-Schattirungen im Antlitze
wechseln. Aehnliches ward, wie Plutarch erzählt, bei Deme-
trius, einem der Nachfolger des Alexander, bemerkt; denn auf
dem Antlitze dieses grossen Königs war nicht nur Anmuth,
sondern gewöhnlich auch Ernst und Strenge, und zwar so ab-
wechselnd ausgedrückt, dass von den vielen Malern und Bild-
hauern, welche ihn abzuconterfeien versuchten, es keinem, trotz
aller Mühe, jemals gelang, ihn vollkommen getroffen wieder-
zugeben. Indem nämlich die eine oder die andere dieser Aus-
drucks-Schattirtmgeu, sei es dem Pinsel, sei es dem Meisscl,
sich entzog und des Künstlers Aug' und Hand nicht mehr als
eine derselben auf einmal erfassen und vorbringen konnte, so
erschien das Ebenbild auch minder ausdrucksvoll als das Ori-
ginal und demselben nicht ganz ähnlich. Doch lässt sich darum