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STATUEN DES DONATELLO AM CAMPANILE.
sich weder mit abstracten, frömmelnd-süssen Phantasieformen
noch auch mit gekauften stumpfsinnigen Modellen zu begnügen
sondern, da er einmal die Original-Propheten nicht haben konnte
so bat er hervorragende Männer unter seinen Bekannten, de1
Gelehrten und Staatsleuten seiner Zeit, ihm als Propheten zt
sitzen. So hatte er zwei Fliegen auf einen Schlag, das Porträt
eines interessanten Zeitgenossen und ein geeignetes Modell füi
den biblischen Geistesheroen. Aber welche freie, menschliche
Auffassung der biblischen Persönlichkeiten spricht sich darin
aus! Er sieht in den Heiligen und Propheten die hervorragen-
den, begeisterten Menschen, die sie waren, nicht mystische,
verzückte, sich selbst unklare Gefässe höherer Mächte. Dona-
tello ist ein wahrer David Strauss der Sculptur.
Doch betrachten wir jetzt die Statuen selbst. Dieselben
stehen jetzt einander gegenüber in Holznischen des Ammanati,
den beiden Nebenportalen der Domfagade zunächst. Rechts vom
Eintretenden steht das Standbild des Humanisten Giannozzo
Manetti. Schicken'wir eine kurze Charakteristik desselben vor-
aus, da dieselbe uns im Verständniss der Statue unterstützen
wird. Giannozzo wurde im Jahre 1396 dem Kaufmann Bernardo
aus der reichen und vornehmen Familie der Manetti geboren.
Er sollte gleichfalls Kaufmann werden, wandte sich aber den
Sprachen und der Mathematik zu. Er nahm zwei Griechen und
einen Hebräer zu fortwährenden Sprachübungen in sein Haus
und gab schon früh eine Ethik des Aristoteles mit Anmerkungen
heraus. Mit fünfunddreissig Jahren heiratete er Anna Giacomina
Tedalducci, mit der er vier Knaben und drei Mädchen erzeugte. Er
war oftmals Gesandter der Republik und war der Partei der Medici
feindlich gesinnt. Als Cosimo zur moralischen Herrschaft in
Florenz gelangte, liess er ihn desshalb mit so schweren Steuern
belegen, dass Giannozzo Florenz verliess und beim Papst Nico-
laus V. sich als Secretär anstellen liess. Am 26. November 1459
starb er in Neapel. Er war klug, bescheiden, sittenrein, liebens-
würdig und gelehrt wie kein anderer seiner Zeitgenossen.
Die Statue Donatellds stellt ihn in seiner Jugend dar,
mag also ungefähr um 1420 entstanden sein. Lebhaft nach
rechts schreitend, wendet sie ihren Kopf links abwärts; die
Linke hält den Mantel in die Höhe, die Rechte trägt eine