DEM ST
GEORG VERYVANDTE SCHÖPFUNGEN etc.
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Massivität, einen ungemein reichen, festlichen und phantasie-
vollen Eindruck, der durch den Farbenschmuck ursprünglich
ohne Zweifel bedeutend erhöht wurde. Dass dieser nicht fehlte,
lässt der Umstand errathen, dass selbst Vasari bei seiner rohen
Uebertünchung dieses edeln Kunstwerks, wodurch deSSen Detail-
feinheiten zum grossen Theile verloren gingen, dennoch die
Augen der Figuren mit dunkler Farbe bemalte, sowie die Ge-
wandsäume vergoldete. Der Hintergrund der Nische, Welcher
eine getäfelte Wand mit schönen, schwungvollen, in antikem
Geschmack gehaltenen Ornamenten in Basrelief darstellt, tritt
gerade soweit zurück, um der von Maria und dem Engel Gabriel
gebildeten Hochrelief-Gruppe Platz zu lassen. Maria hat sich
soeben von dem gleichfalls reich ornamentirten Lehnsessel er-
hoben, erschrocken sich vor dem Engel verneigend, der ihr die
Botschaft überbringt. Dieser ist noch in Bewegung, als ob er
eben herbeigeschwebt wäre und im Begriff stünde, nieder-
zuknieen. Das Haupt neigt er sanft und entzückt gegen Maria
hin, die linke Hand legt er natürlich und voller Anmuth quer
über den Schoss, das Gewand damit haltend, während er die
Rechte ehrfurchtsvoll und betheuernd an die Brust drückt. Als
Gewand trägt er eine Art Chiton. Der Faltenwurf zeigt eine
glückliche Vereinigung eingehender, liebevoller Studien nach der
Natur und derAntike zugleich. Es lässt sich darin eine geniale Intui-
tion eines zugleich naturwahren und stylvollen Linienzusammen-
hanges erkennen; nur herrschen die bedeutenden Motive zu sehr
vor, so dass gerade dadurch ein Mangel an Hauptgruppen entsteht.
Noch weniger übersichtlich und noch reicher an tief-
empfundenen Details ist Maria's Gewand, dessen untere Partie
besonders etwas schwer erscheint. Um so ergreifender ist im
Uebrigen die Erscheinung der Maria. Erschrocken und de-
müthig weicht sie einen Schritt zurück, indem sie, halb abge-
wendet, voll Innigkeit ihr Gebetbuch an sich presst und ihre
Hand verehrend auf die Brust legt. Ihr Antlitz, von holdseliger
Jugend und zarter Lebensfreude strahlend, neigt sich, seiner
Schönheit nicht bewusst, naiv und voll heiliger Feier vor dem
Gottesboten. Eine überwältigende Anmuth, Zartheit, Phantasie
und Lebensfülle ist darüber ausgebreitet; eine wunder-
bare Verschmelzung modern fiorentinischen Seelenlebens mit