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STATUEN FÜR
DIE
N1 SCHEN etc.
herabgebeugt, stösst mit aller Kraft dem Drachen die Lanze in
den Rachen. Die Bewegung des Reiters ist ganz besonders edel
und herrlich in den Linien. Rechts steht eine weibliche Figur,
die Hände zum Gebet faltend. Es ist die christliche Andro-
meda, d. h. die kappadozische Prinzessin, welche der Perseus
des Christenthums der Legende gemäss vom Drachen befreite.
Ihre Bewegung, leicht schreitend, ist sehr zierlich und anmuthig,
und in wahrhaft antiker Weise legt sich das leichte, vom Winde
bewegte Gewand in charakteristischen und schönen Falten um deren
Beine. Seitlich neben und hinter dieser Figur ist ein pilaster-
geschmücktes Gebäude in noch etwas unsichererPe rsp e ctive dar-
gestellt; ebenso sieht man hinter der Hauptgruppe perspectivisch
eine Baum-Landschaft.
Möglicherweise hat sich Donatello im Reiter an ein ähn-
liches Motiv des Andrea Pisano auf einem seiner Reliefs am
Glockenthurm gehalten (wo allerdings kein S. Georg, sondern
ein reitender Bote auf sich bäumendem Pferde dargestellt ist). Dies
wäre ein Beweis, dass er trotz seines Bestrebens nach indi-
vidueller und ursprünglicher Belebung seiner Sculpturen und
trotz seiner unerschöpflichen Erfmdungsgabe es doch nicht
immer verschmähte, Motive seiner Vorgänger zu benützen, wo
diese ihm einen entwicklungsfähigen, guten Keim zu enthalten
schienen. Raphael selbst hat sich wiederum in seiner Hand-
zeichnung, worin S. Georg's Kampf mit dem Drachen dar-
gestellt ist, schwerlich ganz fern von Donatellds Beispiel ge-
halten. Ja, gerade von Raphael liesse es sich mehrfach nach-
weisen, dass er alte Motive wieder verwerthete und ausbildete;
so in seinem Sposalizio. Das Hauptverdienst eines Künstlers
besteht aber nicht darin, dass er im Einzelnen lauter völlig
neue Motive vorführt, sondern darin, dass er ein einheitliches
und lebensfähiges Ganze in seiner Composition darstelle.
Muss nicht auch das neue Motiv, wenn nicht einem
andern Kunstwerk, so doch der Natur entlehnt sein? Ja, um
ein schon in einem Kunstwerk vorgefundenes Motiv wieder gut
zu verwerthen, darf der Künstler es nicht in sein Kunstwerk
aufnehmen, wie es ist, sondern so, wie es der erste Künstler
in der Natur gesehen haben mochte. Aus dem schönen Motiv im
Kunstwerk muss der es benützende Künstler das schöne Motiv