STATUEN FÜR DIE NISCHEN etc.
sten Zug die Sprache der Empfindung zu lesen. Er muss im
Stande sein, nicht nur die Gesetze des organischen Zusammen-
hanges der Theile instinctiv zu befolgen, sondern auch aus einem
Kern oder Princip nicht abstracter, philosophischer Ideen
sondern menschlicher oder thierischer Empfindung alle
Abzweigungen desselben als verwandte und begleitende Aeus-
serungen davon in der entsprechenden Formsymbolik dar-
zustellen. Wenn daher die Griechen ihrem olympischen Zeus
einen Stirnwulst, ihren Medusenköpfen im Vatican tiefaus-
gehöhlte Augen geben, so ist das noch lange keine ideali-
stische Uebertreibung der Naturformen. Es ist eine Ueber-
treibung um der Wirkung aus einer gewissen Distanz
willen. Diese Uebertreibungen wurden durch die Ferne ver-
ringert und waren gerade stark genug, um trotz der Distanz
den Kunstwerken jenen Grad von individueller Charakteristik
der Würde oder Schrecklichkeit zu geben, den der Künstler
im Eindruck auf den Beschauer zu erreichen wünschte. Was
hilft es,' wenn ich einer Statue Feinheiten gebe, die man an
ihrem Standort nicht sieht? Nicht umsonst erschien es den
Alten ohne Massen lächerlich, als Heliogabalus seine Sandalen
mit geschnittenen Steinen besetzte, deren feine Arbeit für eines
Jeden Auge verloren gingen. Wie ihre Statuen, so bildeten die
Griechen bekanntermassen auch ihre Säulen nach optischen
Rücksichten. Ist das Idealismus? Im Vorbeigehen bemerkt, mit
diesem Worte treiben die Deutschen einen so verworrenen Un-
fug, dass um desswillen allein sie den Spott verdienen; sie
liebten, in den Wolken zu leben.
Donatello befolgte diese optischen Principien der Alten,
die er zuerst mit genialem Blick in denselben erkannt hat;
einer der vielen Beweise, wie tief er in das Verstiindniss der
Antike eindrang. Wo allerdings die Sculptur aufhört, monu-
mentaler Schmuck zu sein, und anfängt, Salon- und Cabinets-
kunst zu werden; da ist es für den Künstler freilich schwer,
sein Kunstwerk nach solchen optischen Gesetzen zu stylisiren,
weil es dann seinen Standort stets ändert. Donatello lebte noch
in einer glücklichen Periode monumentalen Schaffens.
Michelangelo soll vor der Statue des S. Marcus, nach-
dem er sie mit Bewunderung lange betrachtet, ausgerufen