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XIII.
Der
Künfller
und
der
Nlenfch.
dafs er fich genöthigt fah, die Radierung ganz mit der kalten
Nadel zu übergehen, um ihr die genügende, freilich wenig
dauerhafte Druckfahigkeit zu geben. Ja bei dem zuletzt
genannten Blatte, der heiligen Familie an der Mauer, fcheint
ihm dies gar nicht nach Wunfch gelungen zu fein. Die
Arbeit dürfte fchon bei der Aetzung verunglückt fein; da-
her das Unklare und Tonige auch der beften Abdrücke.
Der Aetzgrund wird nicht Stand gehalten haben. Dürer
gab darum wohl fchliefslich die Vollendung der Platte auf,
und nur deshalb mag diefelbe ganz ohne alle Bezeichnung
geblieben fein. Es würde jedoch zu weit führen, wollte
ich über technifche Subtilitäten und Unterfuchungen mit der
Loupe Rechenfchaft geben, die doch zu keinem völlig über-
zeugenden _Refultate führen, wenn nicht die Chemie und
ihre Gefchichte uns dabei zu Hilfe kommen. Wir wiffen
auch nicht, welcher von den damals in Nürnberg lebenden
Mathematikern und Naturforfchern Dürers Rathgeber in
diefen Dingen gewefen fein mag. Wir befcheiden uns daher
bis auf weiteres bei allgemeineren Gründen.
Die Aetzung auf Eifen ifi bald darauf kein Geheimnifs
mehr für Dürer. Aus dem Jahre 1515 befitzen wir be-
zeichnete Eifenradierungen von ihm, die ihn mit dem Ver-
fahren ganz vertraut zeigen. Noch in das Jahr 1514 dürfte
ein unbezeichnetes Blatt fallen, auf welchem er die Ent-
würfe von fünf ganz verfchiedenen Figuren regellos zu-
fammen geftellt hat, fo weit eben der Raum der Platte
reichte. Es galt _ohne Zweifel nur eine Probe im Aetzen.
Beliebige Studien wurden dazu benützt, wie fle die Zeichen-
mappe des Meifters gerade darbot. Bartfch (Nr. 70) hatte
daher ganz recht, nach keiner Bedeutung und keinem be-
ftimmten Titel des Blattes zu fuchen. Der knieende männ-
liche Act in der Mitte {tammti offenbar noch von der
italienifchen Reife. Wenigftens deuten die völligen Glieder
auf ein italienifches Modell, und ihre entgegengefetzte Be-
wegung erinnert nur zu fehr an den Contrapofto des
älteren Sansoxrino oder Andrea Contucci, und Michel-