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XIII.
Der
Künfilcr
und
Menfch,
lerifchen Freiheit, mit der er den Formen einen gewiffen
Spielraum läfst.
Ob Dürer im Jahre 1506 zu Venedig perfönlich die
Unterweifung von Luca Pacioli genoffen, oder 0b er blos
daheim aus deffen Buche gefchöpft habe, läfst {ich zwar
nicht entfcheiden. Jedenfalls müfste aber das letztere gleich
nach {einem Erfcheinen in Dürers Hände gekommen fein,
denn die Infchriften auf feinen Bildern, Zeichnungen und
Publicationen feit 1509 verrathen alsbald die Beobachtung
jener Gefetze, die er theoretifch allerdings erft in feiner
aUnterweifung der Meffunga 1525 begründet, oder doch
erft damals veröffentlicht hat.
Das Princip des wlateinifchen ABCK von Dürer beruht
auf dem regelmäfsigen Quadrate, in welches durch Ein-
theilung mittelft Zirkel und Richtfcheit jeder einzelne Buch-
{tabe hineingebaut wird. Zum Beifpiele des Ergebniffes
dienen die Initialen diefes Buches, welche fammtlich getreue
Copien nach Dürers Vorbildern {ind und zwar fo, dafs das
zur Conftruction der Letter dienende Quadrat von uns
durch Zierwerk nachverfchiedenen Zeichnungen oder doch
Motiven Dürers ausgefüllt wurde l). Allerdings befafst fich
Dürer nach der eingehenden Schilderung feines lateinifchen
ABC auch in Kürze mit dem Alphabet der gothifchen
Schrift, die er walte Textura nennt, wie man fie fpäter
wFractum genannt hat; er conftrtiiert aber nur eine alter-
thümliche Minuskel, deren Schäfte er als breite Bänder auf-
fafst, die an den Enden fchräge zurückgefchlagen flnd; die
Bänder erfcheinen aus lauter kleinen, übereinandergeftclltexi
Quadraten gebildet, die an den Enden ubereck geftellt oder
bis auf verfchiedene dreieckige Ueberbleibfel abgefchnitten
werden. Dürer wendete wohl auch diefe Texturfchrift, die
z) Mit Ausnahme blos von Ound
R, die nach Stichen von Wolgemut
und Barbari auf gleiche Wlaife ver-
ziert wurden. Man erkennt unfchwer,
dafs es im Grunde diefelben edlen
Lettern ünd, die wir gegenwärtig all-
mählich aus fremden, franzöflfchen
und englifchen Mußern wieder zu
entlehnen beginnen.