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XII.
Gemälde.
Die grofsen
jahre fpäter ausgeführt hat; nämlich zu der lebensgrofsen
Lucretia in der königl. Pinakothek zu München. Die Zeich-
nungen befinden {ich in der Albertina in Wien. Einmal die
ganze Figur, etwa ein Viertel der Lebensgröfse und bis
auf einen fchmalen Linnenftreifen vollftändig nackt; fie {teht
faft ganz von vorne gefehen auf einer viereckigen Platte,
den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, und hat fich mit
der Rechten den Dolch in die Bruft geftofsen. Der wohl-
gebaute, völlige Frauenkörper ift, offenbar nach der Natur,
ungemein forgfaltig und plafiifch gezeichnet, und zwar auf
grün grundiertem Papiere mit der Pinfelfpitze in Schwarz
und Weifs; aus demfelben Farbentopfe und genau fo, wie
die treff liehen gleichzeitigen Studien zur Himmelfahrt Mariens.
Die Geftalt ift aus dem dunkel angelegten Hintergründe
bis in das reine Bleiweifs der höchften Lichter immer
fchraffierend mit vollendeter Meiiterfchaft modelliert; die
Wirkung der Beleuchtung ift im Helldunkel und in den
Reiiexen auf s feinfie wiedergegeben. Dagegen iPc der
Diftanzpunkt fo nahe gewählt, dafs die Füfse Pcark von
oben, Nafe und Kinn wieder ftark von unten gefehen
werden 1). Für den zuftofsenden rechten Arm mit der ein-
wärts gekehrten Fauft an dem Dolche ergab {ich daraus
eine recht ungefchickte Verkürzung, noch in der Darauf-
ficht. Dürer verbefferte fich daher fogleich, indem er den
rechten Arm auf einem anderen Blatte in derfelben Samm-
lung noch einmal mit dem Pinfel zeichnete, und zwar in
halber Naturgröfse, krampfhaft gefpannt, ein wenig von
unten gefehen und mit auswärts gerichteter Fauft einen
langen Dolch mehr nach abwärts richtend.
Mit Hilfe diefes letzteren Studiums erfcheint denn auch
die Armhaltung der Lucretia in dem Münchener Gemälde
abgeändert, welches Dürer nach jener erfteren Zeichnung
ausgeführt hat. Daffelbe ift wohl identifch mit demjenigen,
welches Van Mander 2) im Privatbefitze zu Middelburg ge-
Daneben beützt diefelbe Samm-
noch eine alte, gequälte Copie
Ü
lung
auf grauen": Grunde ohne Bezeichnung,
z) Schilderboeck ed. 1618, fol.