Ueber
Natur,
künftlerifches
Kunß: und
Schaffen.
333.
fremdem Vorbilde abhängigen Aeufserungen einer ganzen
Künftlernatur. Und daraus folge, fügt Dürer hinzu, dafs ein
wohlgeübter Künftler nicht zu einem jeglichen Bilde Studien
nach der Natur zu machen brauche, wdenn er geufst genugfam
heraus, was er lange Zeit von aufsen hinein gefammelt hat;
ein folcher hat gut machen in feinem Werke, aber gar
Wenige kommen zu diefem Verftändlnifferl).
Die Worte ftimmen gut zu der Art, wie Dürer feine
fpäteren Werke gefchaffen hat. So hoch er aber auch feinen
Künftlerberuf halt, dafs er darin gar einen Abglanz von
Gottes Wirken erblickt, fo liegt darin doch keine perfön-
liche Ueberhebung. Seine eigene Kunftproduction fowohl,
wie fein theoretifches Wirken glaubt er gleicherweife noch
gar weit entfernt von einer befriedigenden Vollendung.
Er ahnt viel fchönere Bildwerke, als er fie hervorzubringen
vermag; er träumt davon: vAch wie oft feh" ich grofse
Kunft und gute Dinge im Schlaf, desgleichen mir wachend
nicht fürkommt, aber fo ich erwache, fo verliert mir's das
Gedächtnifsr. Dürer täufcht {ich auch nicht darüber, dafs
wir zur vollen Erkeniltnifs der Wahrheit nie gelangen, und
er fchreibt daher in Bezug auf die Proportionen des
Menfchenkörpers: wAber unmöglich bedünkt es mich, fo
einer fpricht, er wiffe das befte Mafs in menfchlicher Ge-
ftalt anzuzeigen, denn die Lüge ift in unferer Erkenntnifs
und die Finfternifs {reckt fo hart in uns, dafs auch unfer
Nachtaplaen fehltr. Das entmuthigt ihn aber keineswegs,
denn gleich Lefflng fleht er in dem Streben nach Wahr-
heit einen Titel der Menfchenwürde, und mit Entrüfiung
Weift er den Verzicht darauf zurück: wSo wir nun zu dem
AllerbePren nicht kommen können, wollen wir nun gar von
unferer Lernung laffen? Den viehifchen Gedanken nehmen
wir nicht an, denn die Menfchen haben Arges und Gutes
vor flch, darum ziemt es flCh einem vernünftigen Menfchen
das Beffere vorzunehmenrri).
1) Proportionslehre III. fol, T,
IlIb, Zahn, Dürers Kunftlehre 84,
Proportionsl.
III.
11b.