Ueber
Schöne,
das
Gute.
und
Wahre
331
dreihundert Menfchen, clafs man kaum eins oder zwei
fchöner Dinge an ihnen Endet, die zu brauchen lind. Darum
thut es noth, fo du ein gutes Bild machen willft, dafs Du
von Etlichen das Haupt nehmefl, von Anderen die Bruft,
Arme, Beine, Hände und Füfsee etc. alfo der reine
Eklekticismusl Doch befcheidct fich Dürer fchliefslich beim
Mafshalten und bei dem allgemeinen Gefchmacksurtheil:
wZwifchen Zuviel und Zuwenig ifl ein rechtes Mittel, das
befleifse dich zu treffen in allen deinen Werken. Etwas
ichön zu heifsen, will ich hier fo fetzen, wie man das Recht
gefetzt hat: was alle Welt für recht fchätzt, das halten
wir für Recht; alfo was alle Welt für fchön achtet, das
wollen wir auch für fchön halten und uns das befleifsen zu
machem 1)!
Das Ware alfo eine echt hiftorifche Auffaffting des
Schönheitsbegriffes, bei welcher Dürer um das Jahr 1512
angelangt ift; und fo viel er auch in der Folge noch dar-
über nachgedacht und gefchrieben hat, er ift darüber doch
nicht hinausgekommen. Freilich ift damit dem fchaffenden
Künftler a priori kein Wink, keine Hilfe geboten, fondern
blos eine nachträgliche Erfahrung. Dürers Gleichnifs flirnmt
aber: Die Kunft eines Volkes ift gewachfen, wie fein Recht,
und fo wie das Gute, ift auch das Schöne nicht das Ver-
flandesproduct eines Einzelnen, fondern das Ergebnifs einer
langen Reihe und eines reichen Inbegriffes von wirkenden
Kräften, feien diefelben nun auf viele Individuen vertheilt
oder durch glückliche Fügung in einem einzigen Genius
vereinigt. Ein folcher war allerdings Dürer. Doch blieb
bei aller feiner Speculation fein künftlerifchesrSchaffen ein
tirfprtingliches und naives; ja feine Unbefangenheit und Frei-
heit nahm in den fpäteren Jahren eher zu als ab. Sobald
er auf das Wefen der künftlerifchen Thätigkeit zu fprechen
kommt, dann weifs er nichts mehr von der Theorie, weder
von der Nachahmung der Antike, noch von der Compofition
jahrbücher
Kunßw. I,