Ueber
Antike und
Natur.
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edle, erfundene Kunil, die da durch grofse Mühe und Ar-
beit zufammengebracht ifi, nicht fo jämmerlich unterdrücken
und gar tödten, denn die Kunft ift grofs und fchwer und
wir mögen und wollen He lieber mit grofsen Ehren in das
Lob Gottes wenden; denn in gleicher Weife, wie fie die
fchönfte Geftalt eines Menfchen ihrem Abgotte Apollo zu-
gemeffen haben, alfo wollen wir diefelben lVIafse brauchen
zu Chrifto dem Herren, der der fchönftc aller Welt ift; und
wie lie Venus als das fchönPre Weib gebildet luaben, alfo
wollen wir diefelbe zierliche Gellalt in keufcher Weife bei-
legen der allerreinften Jungfrau Maria, der Mutter Gottes;
und aus dem Hercules wollenwir den Samfon machen;
desgleichen wollen wir den anderen allen thuna.
Doch kehrt Dürer immer wieder zur Natur zurück.
Aus ihr allein rliefsen ihm die Quellen der Schönheit, die
der Schöpfer hineingelegt hat. Wiederholt erinnert er, vder
rechten natürlichen Eigenfchaft lleifsig anzuhangenw und
wder Natur nichts abzubrechen und ihr nichts Unerträgliches
atlfztllegem. Er warnt vor allem Ueberfchreiten der in der
Natur gefteckten Grenzen: vDoch hüte fich ein Jeder, dafs
er nichts Unmögliches mache, das die Natur nicht leiden
könnte; es wäre denn, dafs Einer ein Traumwerk machen
wollte, in folchem mag man allerlei Creatur untereinander-
IIIifChCIM 1). Liegt nun aber auch alle Schönheit in der
Natur befchloffen, fo befteht doch für die befchränkte
Menfchenkraft die grofse Schwierigkeit, fle zu erkennen und
im Bilde wiederzugeben, xdenn es ifi nicht eine kleine Kunft,
viel unterfchiedliche Geftalten der Menfchen zu machen; die
Ungeftalt will fich von felbft ftets in unfer Werk flechten.
Ein fchönes Bild zu machen, kannft du von Einem Menfchen
nicht abnehmen, denn es lebt kein Menfch auf dem Erd-
reich, der alle Schöne an fich habe er könnte immer
noch viel fchöner fein. Es lebt auch kein Menfch auf Erden,
der fchliefslich fagen könnte, wie die allerfchönfte Geftalt
Proportionsl,
111.
[Iba
und