Unterweifung
Meffung,
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feinen ganz gleichzeitigen Kunftwerken oder Entwürfen am
wenigften beobachtet fehen. Losgelöft von allen äufseren
Bedingungen nimmt eben die Phantafle und das Spiel mit
ausgeklügelten Formen oft einen abfonderlichen Lauf.
Andererfeits ift nicht zu leugnen, dafs in dem Mafse,
als die Kunftübung aufhört naiv und unbefangen fort-
zufchreiten, als fre nicht mehr nachgefühlt, fondern von be-
wufsten, reflectierenden Meiftern felbftandig gepflegt wird,
auch das Bedürfnifs einer theoretifchen Belehrung empfunden
und dann wohl auch leicht überfchätzt wird. Wie zeit-
gemäfs diefe Beftrebungen waren, beweiPc die überfchwärlg-
liche Anerkennung und die weite Verbreitung, welche die
gedruckten Schriften Dürers gefunden haben. Das erfte
Buch, welches Dürer veröffentlichte, ift die Mefskunft oder
ßUnterweifung der Meffung mit dem Zirkel und Richtfcheit
in Linien, Ebenen und ganzen Körpern durch Albrecht
Dürer zufamrnengezogen und zu Nutz allen Kunftliebhabenden
mit zugehörigen Figuren in Druck gebracht im Jahr I 525a.
Es enthält einen Lehrgang der angewandten Geometrie im
Anfchluffe an Euklids bElCIIICHtCa. Dürer hebt daher gleich
eingangs hervor, Wer die Geometrie des vallerfcharfflnnigfienr
Euklides verfiehe, der bedürfe der hernach gefchriebenen
Dinge gar nicht, denn fie feien allein den Jungen und denen,
die fonft niemand haben, der fie treulich unterweift, ge-
fchrieben. Deutlicher noch fpricht er feine Abficht in der
dem lxlferke vorangefchickten Widmung an Pirkheimer aus:
ßGünftiger Herr und Freund! Man hat bisher in unferen
deutfchen Landen viel begabter Jungen die Kunft der Ma-
lerei lernen laffen, die man ohne alle Grundlage und blos
nach einem täglichen Brauche gelehrt hat. Sind diefelben
alfo in Unwiffenheit, wie ein Wilder unbefchnittener Baum
aufgewachfen, wiewohl einige aus ihnen durch beftändige
Uebung eine freie Hand erlangt, fo dafs fie ihre Werke
zwar gewaltig, aber unbedacht und allein nach ihrem Wohl-
gefallen gemacht habem. Er wolle nun allen Kunftbetliffenen
die nöthige Anleitung geben und nicht allein Malern, fondern
Thaufing, Dürer. II. 20