Die
vier
Apoftel.
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daher wohl bei der hergebrachten Erklärung fein Bewenden
haben, nach welcher die Doppeltafel der vier Apoilel zu-
gleich Prototype der vier Complexionen zeigt und zwar die
eine Hälfte die mehr paffiven, die andere die activen Naturen;
fo dafs Johannes den Melancholiker und Petrus den Phleg-
matiker, Paulus den Choleriker und Marcus den Sanguiniker
vorftellt. Der letztere iil, nebenbei bemerkt, gar nicht ein
Apoflel, fondern ein Evangelift. Das Werk müfste fomit
richtiger heifsen: die vier Apoftel und Evangeliften, oder
wenn man will: die vier Temperamente. Die einzig würdige
Reproduction des Doppelbildes lieferten bisher die beiden
Lithographien von N. Strixner, doch dürfte die pietatvolle
Leiftung unferes Künfllers trotz des kleinen Mafsftabes dem
Originale ungleich näher kommen.
Schon die Auswahl diefer Vier und noch mehr die Ver-
kehrung des Verhältniffes der beiden Apoftelfürften durch
entfchiedene Voranftelltlng des Paulus und Zurückfetzung
des Petrus kennzeichnet fcharf Dürers proteftantifchen Stand-
punkt. Johannes, der Lieblingsevangelifi Luthers, iit gleich-
falls in den Vordergrund geflellt; in dem feinen Baue des
blonden Kopfes hat Retbergl) eine Aehnlichkeit mit Melanch-
ton entdeckt, dem allerdings manche Zuge entlehnt fein
mögen. Er trägt einen rothen, gelbgefütterten Mantel über
einem grünen Untergewande und blickt finnend in das ge-
öffnete Buch herab, das den Anfang feines Evangeliums
in deutfcher Ueberfetzung erkennen läfst: Im Anfange war
das Wort etc. Neben ihm tritt Petrus, ein müder Greis,
der verdroffexi mit in das Buch hineinfchaut, völlig zurück.
An Ausführung und Erhaltung kömmt diefe linke Hälfte des
man vnder den gefchlechten der men-
fchen allerley art, die zu manicherley
bilden nutz zu brauchen fmd, nach
der complexioxm anzufehena und auf
dem folgenden Blatte: vAlfo iPc durch
die mafs von aufsen allerley gefchlecht
der menfchen anzuzeigen, welche
feurig, lüftig, wessrig oder yrdifcher
natur fmd, dann der gewalt der Kunft
meyüert alle werke etc,
I) Nürnbergs Kunftleben, Stuttgart
1854. S_ 117, Als ein Spiel des
Schickfals ward öfter auch die auf-
fallende Aehnlichkeit diefer fchmäch-
tigen Iohannesgefialt mit derjenigen
Friedrich Schillers hervorgehoben,