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XVI.
Die
Reformation
nicht gelange, die Hauptügur entfprechend auszuzeichnen;
er brachte daher in der Zeichnung für den Holzfchnitt Iefum
wieder an die Langfeite des Tifches, in die Mitte des Bildes
S0 fprüht die Erfindung aus dem Stoffe, der den Meifler
erfüllt, und die Geftalten, die er einzeln gefchaffen, wandeln
und verkehren, als hätten fle ihr eigenes Leben.
Es war immer wieder derfelbe Mantel, der auf ver-
fchiedene Weife dem Modelle umgeworfen, zu jenen Apoflel-
ftudien für den Kupferftich gedient hat. Ein Wurf aber
glückte Dürer befonders, und er befriedigte ihn fo fehr, dafs
er ihn nicht blos in einer jener Zeichnungen fefthielt, fondern
auch zweimal verwerthete; einmal für das fünfte und letzte
Blatt jener Apofielfolge, das er 1523 begann, aber erft
1526 vollendete: St. Philippus'). Das anderemal aber ver-
wendete Dürer das Motiv zu dem berühmten weifsen Mantel
des Paulus in den vVier Apoftelm. Auf dies Gemälde
concentrierte Dürer fchliefslich feine ganze Aufmerkfamkeit.
Die gedankenhafte Art, mit der er an das Werk ging, ift
ganz geeignet, auch die alte, erft von der neueften Forfchung
befeitigte Ueberlieferung zu unterftützen, nach welcher der
Meifter hiermit zugleich die vier Temperamente der Menfchen
habe darftellen wollen. Welche Bedeutung diefe Viertheilung
für jene Zeit und für Dürer insbefondere hatte, wurde oben
erörtert. Der Schreibmeifter Johann NeudÖrFferQ), welcher
zuerft berichtet, dafs die vier Geftalten veigentlichr diefe
Bedeutung haben, war Dürers Zeitgenoffe; er kannte ihn
auch noch periönlich und konnte fich daher über die zur
Zeit der Vollendung der Bilder herrfchende Auffafiung nicht
leicht täufchen. Dürer felbit will ja noch in feiner gedruckten
Proportionslehre ausdrücklich durch die äufseren Mafse und
Verhältniffe der dargefiellten Figuren angezeigt wiffen, welchem
der vier Temperamente diefelben angehörenß). Es. wird
1) Bartfch Nr. 46. Man erkennt
noch deutlich unter der 6 der jahres-
zahl die urfprünglich vorgefiochene 3.
Die Draperie, wie die ganze Figur
kommt felbftverßzindlich beim Kupfer-
ftiche im Gegenfmne zu Zeichnung
und Gemälde.
2) Nachrichten, 37.
3) Proportionslehre, Originalaus-
gabe von 1528; T01. Tiii. vAlfo flnd