Erasmus,
Aufruf an
245
Jefus, befchütze die Wahrheit, erlange der Märtyrer Krone!
du bift doch ohnedies fchon ein altes Männchen; ich hab'
von dir gehört, dafs du dir felbft nur noch zwei Jahre zu-
gegeben haft, die du noch taugeft etwas zu thun. Diefe
lege Wohl an, dem Evangelium und dem wahren chriftlichen
Glauben zu Gute und laffe dich denn hören; dann werden,
wie Chriftus fagt, der Hölle Pforten der römifche Stuhl
nichts wider dich vermögen! Und wenn du hienieden
deinem Meifter Chrifto ähnlich würdeP: und Schande von
den Lügnern in diefer Zeit erlitteft und darum eine kleine
NVeile früher ftürbePc, fo wirft du doch defto eher aus dem
Tode in's Leben eingehen und durch Chriftum verherrlicht;
denn fo du aus dem Kelche trinkeft, den er getrunken hat,
wirft du mit ihm regieren und richten mit Gerechtigkeit
jene, die nicht redlich gehandelt haben. O Erasmus! halte
dich zu uns, dafs {ich Gott deiner rühme, wie von David
gefchrieben fteht, denn du kannit es thun und fürwahr, du
kannft den Goliath fallend u. f. w.
Die Identincierung der freieren humaniftifchen Richtung
mit der reformatorifchen dürfen wir Dürer damals wohl zu
Gute halten. Um diefelbe Zeit war es, dafs Pirkheimer noch
bei einem Gaftmahle in Nürnberg gegen Kilian Leib äufserte:
vDiC Unordnungen, die in die Kirche eingeriffen fmd, können
auch nur durch Unordnungen wieder gut gemacht Werdene 1).
Dürer konnte fomit, als er jenen Hilferuf niederfchrieb, noch
nichts wiffen von den tiefen Riffen, welche alsbald die Fort-
fchrittspartei fpalten follten, einreifsend eiilerfeits zwifchen
den Humaniften und Reformern, anderfeits zwifchen diefen
und den myftifch-focialiftifchen Sectierern. Freilich kannte
er auch den kleinen grofsen Mann von Rotterdam, obwohl
er ihn porträtiert hatte, doch zu wenig, da er ihm eine
tragifche Heldenrolle zudachte, demfelben Erasmus, der zwei
Jahre fpäter den landflüchtigen, aus allen Wunden blutenden
Ulrich von Hutten zu Bafel von feiner Thüre Wies, um {ich
Hagen, a.
III.