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XII.
Die großen
Gemälde.
Faffen wir den befcheidenen Holzfchnitt in's Auge,
mittels deffen wir die Himmelfahrt Maria: von Dürer
feinerzeit zuerft veröffentlicht haben l), fo erkennen wir auf
den erften Blick die nahe Verwandtfchaft der Compoiition
n1it dem vorletzten Blatte des Marienlebens, das mit der
Jahreszahl 1510 verfehen ift. Die Federzeichnung dazu in
der Ambroflana zu Mailand erweift fich als eine Zwifchen-
ftufe zwifchen dem Holzfchnitte und dem Gemälde; die
Compofition erfcheint deutlich aus letzterem gefchöpft und
nur im Gegenfinile reduciert mit Veränderungen. Bei der
hergebrachten Art der Darftellung liefs fich an der all-
gemeinen Anordnung freilich wenig ändern. Aber gerade
die kleinen Verfchiedenheiten innerhalb der Aehnlichkeit
zwifchen dem Holzfchnitte und dem Gemälde iind bemerkens-
werth, denn fie zeigen, wie fehr fich Dürer von den ab-
weichenden Anforderungen jedes Materiales und von den
einem jeglichen innewohnenden Stilbedingungen Rechenfchaft
gab. Was dort für den häuslichen Holzfchnitt reliefartig
zufammengerückt iit, um die kleine Fläche bündig auszu-
füllen, tritt hier im Gemälde in voller Körperlichkeit weit
und luftig auseinander. An Stelle des gemüthlichen Grund-
tones, der etwas wie von himmlifcher Vergeltung irdifcher
Prüfungen zu erzählen weifs, tritt im Bilde die erhebende
Offenbarung eines höchften Triumphes. Der Heiland des
Holzfchnittes, der tief gerührt, faft geziert {ich an den Be-
fchauer wendet, ifl fo recht eine gelungene Gebetbuchügur;
dagegen der Chriitus des Gemäldes, diefe gewaltige Geftalt
mit dem edlen fcharfen Profile, über Seraphim thronend,
blos Knie und Schulter umlloffen von dem unfagbar würdig
gefalteten Purpurmantel, auf dem Haupte die hohe, drei-
1) Zeitfchr, f. b. K. VI. 96. Seit-
dem ward der ganze Altar beffer
publiciert bei O. Cornill, Iak. Heller,
nach einer Zeichnung von Engen
Klimfch. Eine eigenthümliche Be-
nützung des Düreffchen Bildes zeigt
die Herabkunft des heil. Geißes von
Johann Georg Fifcher in der Schleifs-
heimer Galerie, wo nebfc den Mün-
chener Vier Apofieln {leben Köpfe
und die ganze im Vordergrundc
Bzehende Apoßelfigur aus der Him-
melfahrt einfach entlehnt Fmd.