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XIII.
Der
Künßler
und
der
M enfch,
faft allen fpateren Werken Raphaels hat freilich Giulio R0-
mano mit Pathe geitanden.
Wie abgefchmackt iit es doch unter diefen Umftänden,
Raphael den Ausfpruch über Dürer in den Mund zu legen:
wHätte diefer die Antike gekannt, er überträfe uns aller.
Das Wort ift durch nichts beglaubigt. Nur Vafari hat für
{ich felbPc ein ähnliches Urtheil über Dürer gefällt, und
Schriftfteller, die raphaelifcher fein wollten als Raphael,
haben es gläubig nachgebetet. Das Dictum ift fo recht
im Gefchmacke der Manieriften des fpäteren Cinquecento.
Damals lagen folche Anfchatiungen fozufagen in der Luftl).
Einem Giorgio Vafari können wir den demüthigen Hochmuth,
der fich in folchen Worten ausfpricht, fchon zumuthen. Ein
Raphael aber mufste wohl wiffen, dafs es verfchiedene
Weifen gebe, dem Herrn zu dienen, und dafs das Fremd-
artige an einem anderen Genius nicht fowohl als Mangel,
denn als Träger feiner Vorzüge anzufehen fei. Nur die
unbedingte Verehrung, die Raphael aus der Kenntnifs fo
vieler, ihm im Handel leicht zugänglicher Kunftblätter für
Dürer fchöpfte, konnte in ihm den Wunfch erregen, auch
feinerfeits dem Nürnberger Meifter bekannt zu werden und
mit ihm in perfönliche Beziehungen zu treten. Im Jahre 1515
fandte er ihm mehrere Zeichnungen von feiner Hand zu.
,Eine derfelben ift uns noch aus Dürers Nachlafs in der
I) Vafari, ed_ Lemonnier, X, 264:
ßE nel vero, se quesüuomo si mro,
Si diligente e si universale avesse
avuto per patria. 1a Toscana, come
egli ebbe 1a Fiandra, ed avesse po-
tuto sludiare le cose di Roma, come
abbiam fatto noi, sarebbesi stato il
miglior pittore de paesi nostri, si
come fu il piü raro e il piü cele-
brato che abbiano mai avuto i
Fiamminghia was bei Vafari
mit Te de s chi noch ganz zufammen-
fällt Vergl. damit den Brief von
Lambert Lombard aus Lüttich an
Vafari vom 27. April 1565, wo es
von Dürer heifst: xChi dubita, si
quelP mirabile ingegno, dotato di si
divina mano e di tante altre facultä,
si fosse messo a considerare le reli-
quie delle antiquitä, quelle stupende
iigure di Montecavallo, quel perfetto
Laocoonte etc. etc_, quali belli orna-
menti sariano resmti nelli suoi libri
della proportione dell huomoa! Dar-
auf die Schmeichelei, Vafari werde
dies nachtragen, Gaye, Carteggio,
III. 177. Sodann ein ähnlicher Aus-
fpruch bei Lodovico Dolce a. a, O.