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XIII.
Der
Kün (Her
und
der
Men(ch_
XVohl find es zwei fremde Welten, die in den erften
Vertretern der deutfchen und der italienifchen Malerei an-
einander grenzen. DePto wichtiger {ind uns alle hiftorifchen
Berührungspunkte zwifchen Beiden. Deren Verfolgung dürfte
auch lehrreicher für uns fein, als jede, nicht leicht zu er-
fchöpfende, theoretifche Vergleichung, die ja {tets von unferem
fubjectiven Zeitgefchmacke beeinflufst wird. Die Italiener
haben, wie wir fahen, frühzeitig die packende Wahrheit in
Dürers Schöpfungen empfunden, trotz der ihnen fremden
Sprache in Gedanken und Formen, in Landfchaft und
Coftume. Wie fchon früher feine Hintergründe, fo benutzten
und copierten f1e bald auch feine biblifchen Scenen und
Figuren. Schon Vafari zählt, abgefehen von Giovanni
Bellini, namentlich Andrea del Sarto und deffen Schüler
jacopo Pontormo zu den Nachahrnern Dürers. Andrea hat
wirklich in feinen grau in grau gemalten Fresken, darftellend
das Leben des Täufers im Kreuzgange der Scalzi zu Florenz,
ganze Figuren aus Dürers Folgen entlehnt, z. B. in der
Darftellung der Predigt Johannis: den Pharifäer im langen
Mantel rechts aus dem Ecco homo der Kupferftichpaffion
(B. I0), und das fitzende Weib mit dem Kinde aus der
Wochenftube im Marienleben (B. 80).
Raphael ging in der Bewunderung Dürers allen voran.
Wir mögen es Lodovico Dolce 1) auf's Wlort glauben, dafs
der Urbinate Zeichnungen, Kupferftiche und Holzfchnitte
von Dürer in feiner Werkftätte aufgehängt und höchlich
gelobt habe. Schon durch feinen Kupferftecher Marcantonio
Raimondi, den er feit 1510 befchäftigte, mufste er mit
denfelben bekannt werden. Hatte diefer bereits im Jahre
1506 faft das ganze Marienleben Dürers im Kupferftich
copiert und fich daran gebildet, fo ftach er nun unter
Raphaels Augen auch noch die ganze xkleine Paffiom in
Kupfer nach; abgefehen von einer Reihe anderer Copien
I) Aretino
lerei, 1 5 5 7,
oder Dialog über Ma-
Deutfch herausgeg. v.
Eitelberger.
Wien 187I. S. 42,