Der
Schatzbehalter.
65
ein mächtiger Geift, der vor keiner Schwierigkeit zurück-
fchreckt und jede neue Richtung rafch ergreift, um Iie nicht
blofs auszubeuten, fondern auch weiter zu entwickeln. Läfst
fich nun auch die überreiche Thätigkeit, welche Wolgemut
in feinem 8 Sjährigen Leben entfaltete, vorerft nur in ganz
allgemeinen Zügen fefthalten, fo viel ergiebt {ich fchon aus
vereinzelten Thatfachen, dafs wir es hier mit einem be-
deutenden MeiPrer zu thun haben, der bahnbrechend wirkte
auf allen jenen Gebieten, auf welchen Dürer mit feinem
Ruhme auch den feines Lehrmeifters geerntet hat. So hoch
wir auch Dürers Genius zu Pcellen geneigt lind, ohne Wol-
gemuts Vorgang hätte er die Stufe feiner Vollendung nicht
erreicht. Am weniglien dürfte dies vorerft in Bezug auf
jene grofsen Publicationen beliritten werden, durch welche
Wolgemut der Begründer der fortan muftergiltigen Nürn-
berger Holzfchneiderfchule geworden ifi.
Als Anton Koburger im Jahre 1483 feine oberdeutfche
Bibelausgabe veranftaltete, entlehnte er noch die Abbildungen
dazu der ein Jahrzehnt früher erfchienenen Kölner Bibel;
nur die acht Bilder zur Apokalypfe wurden in Nürnberg
hinzugefügt. S0 roh und unvollkommen auch die hundert-
{ieben Holzftöcke waren, die bei diefer Gelegenheit nach
Nürnberg kamen, fie genügten, den Unternehmungsgeifi
Koburgers und Wolgemuts zur Bewältigung grofser Auf-
gaben herauszufordern. Unter ihrer Leitung erhob fich der
bis dahin blofs handwerksmäfsig geübte Formfchnitt rafch
zur Höhe der damaligen Kunfileiftung. Zeugnifs davon
geben die einundneunzig grofsen Tafeln in dem 1491 durch
Koburger veröffentlichten xSchatzbehalter oder Schrein der
wahren Reichthümer des Heils und ewiger Seligkeita. Um
die Bedeutung diefes Kunftdenkmals zu ermeffen, braucht
man daffelbe blofs mit allem dem zu vergleichen, was der
Holzfchnitt bis dahin geleiftet hatte. Die Zeichnungen
flammen wohl fämmtlich von ein und derfelben Meifierhand
her und gehören ohne Zweifel Wolgemut felblt an. Der
mannigfache Reichthum der Erfindung, die freie Beweglich-
Thaufing, Dürer. 5