Kirchenzußände.
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Wie die Stadt das ganze Mittelalter hindurch im Kampfe
gegen das Papftthum am Kaifer fefthielt, fo hatte {ich in
ihrer Bürgerfchaft bei aller tiefen Frömmigkeit eine freiere
Richtung in kirchlichen Dingen feitgefetzt. Schon die An-
fichten der Waldenfer hatten fich bis hieher verirrt, zu der
Gefellfchaft der Gottesfreunde im XIV. Jahrhundert gehörten
auch mehrere Nürnberger, und vollends die huffitifchen
Lehren fanden alsbald Anklang in der Stadt. Johann Hufs
erzählt felbit, wie er auf feiner Durchreife nach Conftanz
von allem Volke in Nürnberg erwartet wurde und wie er
dann öffentlich unter dem einftimmigen Beifalle der Bürger
feine Lehrfätze entwickelt habe. Die Nürnberger Geiftlichkeit
ftand in einem untergeordneten Verhältniffe zu der Bürger-
fchaft. Der Rath hatte die Advocatie und fchliefslich auch
das Patronat von fammtlichen Kirchen und Klöftern in der
Stadt und in dem ihr zugehörigen Gebiete; er wählte die
Pröpite und Pfarrer trotz dem Widerfpruche des Bifchofs
von Bamberg, in deffen Sprengel fie gehörten; er führte
die Aufficht über die Sitten der Klöfter und reformierte
diefelben auch gegen den Willen der Mönche und Nonnen;
fo 1428 das-Katharinenklofier, 1436 das der Auguitiner.
S0 kam es denn, dafs die Reformation bei ihrem Eintritte
vielleicht in keiner deutfchen Stadt den Boden fo vorbereitet
fand, wie in Nürnberg.
Ueberhaupt war die volksthümliche Oppofltion gegen
die mittelalterlichen Lebensformen nirgends fo fehr in das
Bewufstfein der Maffen gedrungen, wie in Franken. Die
Auflöfung des alten Herzogthums in zahlreiche gröfsere
und kleinere, geiftliche und weltliche, adelige und bürgerliche
Territorien, zwifchen denen eine beftändige Reibung ftattfand,
liefsen die niederen Stände zu gröfserer öffentlicher Geltung,
zu freierer Bewegung gelangen. Mit der Uebung des Waffen-
dienftes war auch die POCllC aus den ritterlichen Kreifen
in das Volk herabgeftiegen. Das erwachende Selbitgefühl
der minderberechtigten Claffen machte {ich nicht blofs in
Maffengährungen und Bauernauf laufen, fondern auch in einer
Thaufing, Dürer. 3