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Der
Aufenthalk in Venedig.
zweite
und der unteren Hälfte der Compofltion fo auseinander, dafs
es den Anfchein hat, als wäre die letztere mit der edlen
Gruppe um die ohnmächtige Maria erft einige Jahre fpäter
hinzugefügt oder doch merklich verändert. Die beiden Hattern-
den Engel, welche oben in Kelchen das Blut auffangen,
fmd wie aus der Apokalypfe zugeflogen. Die himmlifchen
Zeugen, Sonne und Mond, haben noch in altchriftlicher
Weife menfchliche Angefichter. Die Beweinung des Leichnams
Chrifii (B. I3) hat in der Compofltion, wie in den dürftigen,
eingefunkenen Formen der Leiche nahe Verwandtfchaft mit
den beiden Schulbildern deffelben Gegenitandes in München
und Nürnberg. Die Wirkung der Grablegung (B. 12) beruht
mehr auf einer Reihe tief empfundener Einzelnheiten, indefs
die Gefammthaltung und der Schnitt zu wünfchen übrig
laffen.
Mit dem Jahre I 503 kommt Dürer von der hergebrachten,
allzu drafiifchen Darftellung der Paffionsfcenen einigermafsen
zurück. Er geht daher auch von dem gröfseren Formate
ab, legt den Ton immer mehr auf den Ausdruck weniger
Hauptperfonen, und indem er fo die Compofltion zuweilen
bis zum Epifodifchen vereinfacht, erhöht er gleichwohl deren
Wirkung zu Gunften einer milderen, zuweilen hochpoetifchen
Auffaffung der Tragödie. Diefe weitere Fortbildung feines
Paffionsgeclankens zeigt zunächft die vgrüne Paffiom in der
Albertina. So nennen wir nämlich eine Folge von zwölf
forgfaltig in Helldunkel auf grün grundiertem Papier mit
Feder und Pinfel ausgeführten Zeichnungen; fie fchildern
das Leiden Jefu, eingeleitet durch eine Anbetung der heil.
drei Könige, und tragen fämmtlich, zuweilen an zwei Stellen
zugleich, die Jahreszahl 15041). Die grüne Paffion fteht
bereits ganz auf der Höhe aller fpäteren Kupfer- und Holz-
fchnittfolgen. Wenn f1e diefelben an Ausdruck und Feinheit
I) Die abweichenden Daten auf
den Lithographien von Pilizotti be-
ruhen auf ungenauer Lefung und
konnten leicht Forfcher, wie Kugler,
Waagen u. a., zu irrigen Annahmen
verleiten.