der
Epoche
Blüthezeit.
329
allen Richtungen holt nun Dürer weit aus. Von der geiPcigen
Entwickelungskrankheit feines 32. Jahres erhebt er {ich mit
Riefenkräften, und es folgt das Jahrzehent einer Thätigkeit,
deren Fülle und Mannigfaltigkeit ftets mehr überrafcht, je
weiter man fie verfolgt und zu ergründen fucht.
Bisher hatte {ich Dürer dabei genügt, das menfchliche
Antlitz in feinen beftimmten ruhenden Formen wiederzugeben
mit derfelben Objectivität, mit der er Pflanze und Thier,
Landfchaften und andere Gegenftände, fozufagen, abzufpiegeln
vermochte. Die Porträte aus feiner früheren Zeit zeigen
noch die ftarre Ruhe des Momentes, das ängftliche Verhalten
jeglichen Affectes und jene nach aufsen gerichtete Spannung
der Gefichtszüge, wie fie {ich dem Sitzenden nothwendig
aufprägt. Mehr oder minder klebt diefe Zufalligkeit allen
deutfchen Bildniffen des XV. Jahrhunderts an und trägt
wefentlich zur weltentrückten Naivetät ihres Ausdruckes bei.
Aus dem Jahre 1503 aber begegnen wir zuerPc Porträtfhidien
Dürers, die eine ganz neue Art der Auffaffung zur Schau
tragen. Ein fchöpferifcher Hauch hat der Naturwahrheit
zugleich eine tiefere Befeelung eingeflöfst; die Haare zittern,
die Augen blinken und zwinken, die Lippen fchwellen und
zucken in einer ganz unbefchreiblichen Bewegung. Neben
jenem Chriftuskopfe befitzt das Britifche Mufeum noch den
eines Mannes im Turban mit gähnendem Munde, mit Kohle
gezeichnet; Alfred von Franck in Graz einen Madonnenkopf
von fanftem, ungemein edlem Ausdruck; ein anderer, gleich-
falls von länglichem Oval und nach vorne herabblickend
unter dem Schleier, erinnert an Lionardos Mailänder Frauen-
typus fowohl in den Formen wie in dem zauberhaften
Lächeln; die lebensgrofse Kohlezeichnung befindet fich im
Berliner Cabinet neben einer anderen nach jenem jungen
Weibe mit den fchwer herabfinkenden Augenliedern. Merk-
würdig aber ift der Kopf eines fchönen Weibes in der
Kunfthalle zu Bremen, mit entblöfstem Halfe, die Haare
mittels eines Stirnbandes gehalten und rückwärts zufammen-
gebunden, beinahe lebensgrofs, in Silberftift entworfen. Sie