Begegnung.
Die erfte
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gefunden hätte. Nachweifen können wir die Einwirkung
jenes perfönlichen Verkehres auf Dürer erft feit dem Jahre I 500,
in welchem Barbari {ich in Nürnberg niederliefs und aus
Welchem Jahre {ich bereits eine datierte Zeichnung von
Figuren zur Proportionslehre im Britifchen Mufeum zu London
vorfindetl). In den darauf folgenden Jahren laffen {ich fo-
dann in Dürers Werken die Spuren diefes Einfluffes wie
auch der in ihm erwachenden Gegenftrömung deutlich ver-
folgen.
Es ift bezeichnend für Dürers Geiftesart, dafs ihm das
Schaffen des Italieners aus unmittelbaren Eingebungen, nach
einmal durchempfundenen, wahlverwandten und fomit vor-
gefafsten F ormenvorfiellungen völlig unverftändlich ift. Indefs
der Südländer fein Ziel wie im Fluge erreicht, will {ich der
Deutfche auch Rechenfchaft geben über den zurückgelegten
Weg. Es iPt der deutfche Hang zur Gründlichkeit, zur
Forfchung, zur Abfiraction, der in Dürer frühzeitig lebendig
ifi, und der ihn verhindert, irgend einer Richtung dauernd
zu folgen, deren Principien er {ich nicht klar machen kann.
Nach den von Barbari gefchaffenen Geftalten zu fchliefsen,
war diefer; fo wenig wie je ein anderer Künfiler, im Befitze
eines fertigen Kanons der menfchlichen Körpermafse. Mochte
er auch in diefer Beziehung ein geheimnifsvolles Wiffen dem
jungen Dürer gegenüber zur Schau tragen, fo zeigt doch
die tiefe Verfchiedenheit feiner Proportionen, dafs er die
nackten Figuren keineswegs nach allgemeinen theoretifchen
Formeln conPtruierte. Vielmehr ringt in ihm, wie in der
ganzen damaligen KunPc, der Gegenfatz zwifchen Natur-
nachahmung und überlieferten Stilformen, ohne dafs eine
der Richtungen zu entfchieclenem Siege gelangt oder beide
in einander verfchmelzen. Seine Werke, insbefondere feine
I) Waagen, Treasures of Art, I.
233. Hausmann, S, x12, Nr. 153.
Umrifs einer weiblichen Figur mit
eingetheiltem Zirkel vom Jahre 1500.
Der Grund ifi grün fchraffiert; auf
der Rückfeite diefelbe Figur mit Ein-
theilungen. Auf einem Blatt in klein
Folio daneben fleht eine Erklärung
in 44 Zeilen von Dürers Hand,