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Die
Apokalypfe und
frühen
Holz fchnitte.
Gottes Altar umfchwebenden, hier wieder jugendlichen Engels-
gefialten hat einen gewiffeil Reiz, alles andere verliert {ich
in Unmöglichkeiten. Um fo geeigneter für die Darfiellung
erfchien aber die Wirkung der fechfien Pofaune auf dem
folgenden Blatte: die Loslöfung der vier Engel, die gebunden
lagen an dem grofsen Wafferftrome Euphrat und die nun
den dritten Theil der Menfchheit tödten1). Unter dem
goldenen Altare, aus deffen vier Ecken die Stimme tönt,
fauü die kleine Schaar der Gepanzerten auf den feuerfpeienden
Roffen mit den Löwenköpfen durch die Wolken. Drunten
auf der Erde aber walten die vier Würgengel ihres graufigen
Amtes. Wie oben in ihrer Ruhe fehen wir hier ihre Art
in wilder Bewegung. Wie jeder auf andere Weife mit dem
Schwerte ausholt und alle mit gleicher Wucht auf ihre
Opfer Puürzen, der eine ein Weib bei den Haaren faffend,
der andere Rofs und Reiter niederfchlagend, find fle die
Ausgeburt einer unzähmbaren, dämonifchen Vertilgungsluii.
Der vorderfie von ihnen aber hat eben den entfetzt auf
dem Boden liegenden Papft an der Schulter gepackt; der
Bifchof liegt bereits erfchlagen hinter ihm, und vergebens
fafst der Kaifer an feine wankencle Krone. Es iPc klar, dafs
hier nur die Engel das Recht des Dafeins haben; vor ihren
Hieben linkt alles in zufällige Bruchftücke einer formlofen
Maffe zufammen.
Nächft den vier Reitern des vierten Blattes fmd die
Engel vom Euphrat die gewaltigüe Conception in Dürers
Apokalypfe. Das langverhaltene Pathos der altdeutfchen
Kunft kommt in diefen beiden Seitenftücken zuerft zu fchranken-
lofem, energifchen Ausbruche, ohne die Grenzen des künfi-
lerifch Darfiellbaren zu überfchreiten. Die urwüchfige Kraft,
mit der hier das innerPce Wollen an einer Thätigkeit in die
Erfcheinung tritt, reifst die Phantaiie mit {ich fort in der
endlofen Flucht der Reiter dort, wie hier in dem centri-
fugalen Schwunge, der einen weiten Vernichtungskreis um
die Gruppe der vier Engel zieht.
CZP'