Bildniffe
Frau.
145
Das Blatt hat zwar durch Reibung und vielleicht Näffe arg
gelitten, doch laffen die klaren und beftimmten Strichlagen
noch alle Formen deutlich erkennen; fie entfprechen voll-
ftändig dem kleinen Köpfchen auf jenem Studium der
Ambroflana, deffen Porträtrichtigkeit (ich daraus ergiebt.
Selbftdie Stellung, dreiviertel links hin, ift diefelbe, nur
erfcheint der Kopf mehr gehoben und die Augen, weit
aufgefchlagen, fchauen geradeaus, ja faft etwas nach auf-
wärts. Die Haube läfst noch einen Theil der hohen glatten
Stirne und der ungewöhnlich hoch gefchwungenen Augen-
brauen frei; der Rücken der äufserft wohlgeformten, etwas
vorfpringenden Nafe zeigt in der Mitte eine fanfte An-
fchwellung, die vollen üppigen Lippen fchliefsen {ich in einer
zierlichen Doppelwellenlinie; darunter das Grübchen und
ein kleines rundes Kinn, das fanft in die Fülle der Wangen
und in einen Anfatz zum Doppelkinne verläuft. Denken
wir uns diefe Frau an die Seite Dürers, wie er flch uns in
dem Münchener Selbfiporträte darftellt, und wir werden
zugeflehen, dafs wohl niemals ein fchöneres Paar durch die
Brautthüre bei S. Sebald gefchritten ifl.
Und diefes ftattliche Paar war auf dem befien Wege,
einem künftigen Gefchlechte zum Gegenftande des Spottes
oder Mitleides gemacht zu werden; feine Ehe ward zu einem
fprichwörtlichen Mifsverhältniffe gefiempelt, ähnlich dem
zwifchen Sokrates und Xanthippe. Ein einziger Anhalts-
punkt genügte einer unkritifchen, fpiefsbürgerlichen Gefchicht-
fchreibung wie zur Anknüpfung fo auch zur Ausfpinnung
der landläufigen Sage von Dürer und feinem böfen Weibe.
Wir kennen ja die Scheelfucht jener artiftifch-litterarifchen
Kreife, denen die längfie Zeit alle Ueberlieferung von
Künfilernachrichten überlaffen blieb. Wo fie an die Werke
nicht heran konnten, da entfchädigten {ie {ich an der Perfön-
lichkeit der alten Meißer, die ja faft alle, von Perugino bis
Rembrandt, mehr oder minder Unglimpf erfahren mufsten.
Wo aber, wie bei Dürer, der Charakter des Mannes über
alle Verläumdung erhaben war, da mufste wenigftens ein
Thaufing, Dürer. 10