Die Schwägerin.
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lächelnd rechtsblickenden Weibes, mit der Kohle entworfen.
Trotz einiger Fülle des Gefichtes {ind Mund und Nafe fein
gezogen; fehr auffallend aber erfcheinen die fchwer herab-
fmkenden Augendeckel 1). Und diefe felbe Eigenthümlichkeit
kehrt in dem lebensgrofsen Kopfe einer ziemlich beleibten
älteren Frau auf einer Dürenfchen Zeichnung im Britifchen
Mufeum wieder. Auch hier erfcheinen die Lider wie ge-
lähmt, die Augen faft gefchloffen. Hier wie dort ift offen-
bar diefelbe Perfönlichkeit dargeitellt, nur gealtert, denn die
freilich fehr fchadhafte Londoner Kreidezeichnung auf grünem
Papier trägt die Jahreszahl 1522, daneben eine Infchrift, die
aber gerade an der entfcheidenden Stelle unlesbar bleibt.
Die Aehnlichkeit mit Dürers Frau ift fo grofs, dafs Woltmann
mit Hülfe jener verftümmelten Infchrift hier geradezu diefe
felbft zu erkennen glaubte 3). Vielleicht alfo ift es deren
Schwefter Katharina. Dafs es fich nämlich hier um eine
verwandte oder fonft naheftehende Frau handelt, verräth
theils die Wiederholung des gleichen Bildniffes nach zwanzig
Jahren, theils die verftümmelte Infchrift der Londoner Zeich-
nung 4), theils auch das Wiederkehren derfelben müden
Augenlider auf dem Bildniffe eines halbwüchfigen Mädchens
im Berliner Mufeum 5). Diefes lebensgrofse, ungemein treu
und wahr aufgefafste Bruftbild, mit Kohle gezeichnet, trägt
allerdings die Jahreszahl 1515. Das pausbackige Mädchen
mit dem breiten Stirnband und den dünnen Zöpfen ift fomit
eine von jener Frau verfchiedene Perfon; doch deutet fchon
der etwas ungeordnete Anzug auf keine Fremde, und vollends
I) Abbildung in der Gazette des
Beaux-Arts, 1878. I. 247.
2) Bl. 49 des Sammelbandes,
3) Waagen, Treasures of Art I.
p. 230, Woltmann, Jahrbücher für
Kunffw. IV. 249. Dem widerfpricht
aber gerade das Hauptmerkmal jenes
Kopfes, die über den Augapfel herab-
gefunkenen Lider, die ein vollkom-
menes Auffchlagen des Auges gar
nicht zuzulaffen fcheinen; während
Agnes gerade in den beßzen Bild-
niffen mit weitgeöifneten Augen her-
ausfchaut.
4) hab Albrecht Dürer noch
hausfrawen conterfett.
5) Abbildung in kleinerem Mafs-
ßabe in unferer franzöfxfchen Aus-
gabe, Tafel zu S. 106, und in der
Gazette des Beaux-Arxs, 1878. I. 245.