Studien aus
Venedig,
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Blicke, den Dürer, heimgekehrt, für den Kaifer auf der
Marter des heil. Johannes in der Apokalypfe verwendet hat,
wo er folgerichtig im Gegenfinne erfcheint. Ein eigenthüm-
liches Analogon zu dem obgenannten Chrifikinde bietet die
forgfältig ausgeführte, weifsgehöhte Zeichnung eines folchen
Chrilikindes in gröfserem Mafsfiabe im Befxtze des Barons
F. Schickler in Paris. Es ift eine treue Copie des Kindes,
wie es in mehreren Bildern Lorenzo di Credfs rechtshin
gewandt vor der anbetenden Madonna auf dem Boden liegt.
Unten die Bezeichnung mit der Feder 21 3B 1495, alfo bald
nach der Heimkehr aus Venedig').
Ein fchwebender Amor von kräftigen Formen mit einer
Art Dracheniiügeln, die Elenthiergeweihen gleichen, im
Kunftbuche der Ambrafer Sammlung in Wien, dürfte eben-
falls diefer Zeit angehören. Er ift eben im Begriffe, feinen
Pfeil abzufchiefsen, und blickt dabei unter dem feine Stirn
umhüllenden Tuche empor. Die getufchte Federzeichnung
erinnert Pcark an die Schule Mantegnas. Ob und wo Dürer
etwa Gelegenheit fand, Malereien diefes Meifters zu fehen, wiffen
wir nicht. Dafs er Padua damals befucht hat, ifi wahrfcheinlich,
wenn auch nicht beglaubigt. Mantegna war indefs längfi nach
Mantua übergefiedelt; er hätte ihn daher dort ebenfo wenig
perfönlich kennen gelernt, wie im Jahre X506, wo der plötz-
liche Tod des greifen Meifiers feine Abficht, ihn in Mantua
aufzufuchen, gekreuzt haben foll. Dürers Beziehungen zu
Mantegna haben eine merkwürdige Analogie mit feinem
Verhältnifs zu Schongauer. Unter allen feinen Vorläufern
find es wohl diefe beiden Männer, die er am höchflen ver-
ehrte; es find die einzigen Küniiler, von denen uns über-
liefert wird, dafs der junge Dürer die perfönliche Bekannt-
fchaft mit ihnen erfehnt und gefucht habe. Beidemal verfagte
ihm das Schickfal feinen NVunfch mit einer Beharrlichkeit, als
hatte es jeden übermächtigen Einflufs von Dürer abwehren
wollen, damit in ihm eine felbfiändige und dritte Gröfse
1) Abbildung in
Thaufing, Dürer.
Dürer
Quantin,
Tafel