96
Michel Wolgemut,
Gefchmackes angefehen werden; er opferte die Zierlichkeit
des kleinen Mafsftabes, ohne die Erhabenheit des grofsen
dafür einzutaufchen. Von folchem Mifsgriff hat fich Wol-
gemut ferne gehalten; wir finden die luftige Gliederung
feiner Goldfchmiedvorlagen in feinen gröfser ausgeführten
Altarwerken nicht Wieder, doch bieten die Einzelheiten an
beiden deutliche Vergleichungspunkte. Die in das Ornament
jener 'Kupfer{tiche eingefügten Figürchen zeigen diefelbe
völlige Körperlichkeit, edle Haltung und gefällige Gewandung,
wie die von Blattgewinden umfchlungenen Geftalten auf der
"Rückfeite des Schwabacher Altares, fie werden von Confolen
getragen, gleich denen unter den grofsen Heiligen des
Peringsdörffeffchen Altares. Die Vorlage zu einem Pokale,
deffen birnenähnlicher Bauch durch Hfchblafenartige Buckel
gebildet wird, zeigt im Einzelnen diefelbe Behandlung, wie
fle Dürer noch am Ende feiner Thätigkeit auf Mufter für
Goldfchmiede anwandte 1); fo der Doppelpokal von 1526,
colorierte Federzeichnung in der Albertina und andere Ge-
feifse im Dresdener Dürercodex, foweit fie Dürer angehören.
Getrauen wir uns daher nur die Dinge fo natürlich zu
nehmen, wie fie zu liegen pflegen, und wir dürften den
Thatfachen näher kommen. Sobald von Einflufs zwifchen
Künftlern die Rede ift, find es doch mit fehr feltenen Aus-
nahmen gemeiniglich die Alten, welche ihn ausüben, die
Jungen, Welche ihn empfangen; und nicht anders fleht es
wohl auch um das Verhältnifs zweier Generationen, wie fie
durch hVolgemut neben Kraft, und durch Dürer neben Peter
Vifcher vertreten werden. Weil wir uns aber unfer Urtheil
zunächff nur nach den bekannteren Jüngeren gebildet haben
und aus ihnen den Mafsüab fchöpften zur Beurtheilung der
unsgunbekanntenl Alten, darum konnte uns fchliefslich der
Glaube an den gemeinen Lauf der Dinge ganz abhanden
kommen.
Paffavant Nro,
Dresdener
Cabinet.