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Geschmeide.
handlung zu teil werden lassen, die meisten der anderen wenigstens
ZU streifen.
Die Neigung der Menschen, ihre Person durch schmückende Zu-
thaten schöner, bedeutender, auffallender zu machen, ist so alt wie
das Kostüm überhaupt, ja vielleicht ursprünglicher als dieses; denn
wir finden bei Völkern, denen Klima und Kulturgrad noch nicht das
Bedürfnis nach irgend welcher Verhüllung des Körpers nahegelegt
haben, doch schon den Schmuck ausgebildet, mag derselbe auch nur
in einer durch die Lippen gesteckten Muschel oder in Tättowierung
der Haut bestehen. Von diesen rohesten Anfängen bis zu den
raffiniertesten Künsten der Bijouterie verfolgt aber das Geschmeide
immer nur die gleichen, in wenige Sätze zu fassenden Zwecke: Her-
vorhebung einzelner Körperteile durch glänzende, kunstschöne Gegen-
stände, die das Auge des Beschauers unwillkürlich nach der gewollten
Richtung leiten: so wird die Aufmerksamkeit auf eine schöne Hand
durch den Brillantring hingelenlat, der sie schmückt. Ferner: Anderung,
meist Bereicherung der Silhuette und damit Ausgleichung wirklicher
oder eingebildeter Fehler; so erscheint ein magerer Oberarm voller,
wenn eine goldene Schlange als Armband sich um ihn zu ringeln
scheint; ein breit entwickeltes Ohrgehänge lässt ein allzuschrnales Ge-
Sicht breiter erscheinen. Endlich Durchschneidung und Teilung der
Linien des Körpers und der Gewandung nach gewissen, meist unbewusst
befolgten malerischen Gesetzen. In diese Kategorie gehören Gürtel
und Halsketten, die dem lang herabwallenden Zug der Falten ein
unterbrechendes Gegengewicht abgeben. Seine Zugehörigkeit zum
Kostüm beweist das Geschmeide in der unbedingten Abhängigkeit
von der Mode.
Wenn wir auch in der folgenden Aufzählung des menschlichen
Schmuckes der von Semper eingeführten Unterscheidung in "hängen-
den", "ringförmigen" und "Richtungsschmuck" im allgemeinen folgen,
so werden wir doch finden, dass eine Menge von Grenzgebieten diese
an sich durchaus logische Unterscheidung verwischen. Ehe wir jedoch
näher hierauf eingehen, wird es sich empfehlen, in einem raschen
Überblick, bei welchem uns der Gedankengang eines Vortrags von
dem Pariser Goldschmied Falize leiten wird, die Bedeutung und
Auffassung des Schmuckes in den verschiedenen Kulturperioden an
uns vorübergehen zu lassen. '
Das Geschmeide ist neben den Erzeugnissen der Keramik von
allen Werken des Kunstgewerbes dasjenige, welches uns aus den
ältesten Kulturperioden am reichlichsten überliefert und damit ein
Mafsstzib für die Leistungen der letzteren in den dekorativen Künsten
geworden ist. Wir verdanken dies dem in allen Perioden der Ver-
gangenheit hochentwickelten Totenkultus, der es als eine Forderung
der Pietät aufstellte, dass der Verstorbene in voller Ausstattung von
Gewand, Schmuck und Waffen der Erde übergeben wurde: SO sind