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Grund mit gelungenen Verbrecherphysiognomicn auf ihren
schmutzigen Wegen umher. Sie thut es , weil ihr Horizont
ein grösserer geworden und sie selbst sich ihrer sittlichen
Mission bewusster geworden ist, weil sie fühlt, dass diejenige
Kunst, welche der Wirklichkeit am nächsten, auch das Leben
am vielseitigsten abzuspiegeln habe, das Genre nur aus Mangel
eines weiteren Gesichtskreises in Einseitigkeit ausartete und
sich st of f lich auch begreiflicher Weise um so mehr ver-
flachen musste, je mehr sie ihr ganzes Heil vom „sinnlichen
Schein" der rohen Materie abhängig glaubte.
Im Gegentheil, die Sittenmalerei als eine Malerei mit
unbekannten Grössen (Guhl) greift weit über jene Seite des
zuständlichen Lebens hinaus, die blos in derber Komik oder
stiller Beschaulichkeit das Leben abzuspiegeln versucht,
friedliche Familienscenen und jubilirende Naturmenschen u. s. w.
darstellt und in banger Scheu an Motiven vorbeigeht , die über
den niedrigen Inhalt, wie er bislang als Träger des Genre galt,
hinausgreifen.
Diese Oberflächlichkeit des betrachtenden Blickes ist aber
nicht, wie man glauben sollte, aus der Dürftigkeit sittenbild-
licher Motive, sondern aus der Unterschätzung dieses Kunst-
zweiges hervorgegangen, der, sich immer nur an die Klein-
seite des zuständlichen Lebens haltend, nicht zu begreifen
schien, dass „alles Bedeutende, was die Geschichte
bewegt", alles Hohe und Höchstes, das die
Menschenbrust empfindet, neben dem anspruch-
losesten Thun und Treiben zur Darstellung
gebracht werden darf.
Allerdings sind die Anforderungen ganz andere, die wir
an den Genremaler stellen, der einen Habermann an der Leiche
seiner Frau 1 einen Napoleon im Gem ache einer Lenormand
oder einen Luther in den stillen Räumen seiner Studirstube
zur Anschauung bringt, als an einen solchen, der karten-
spielende Bauern, trinkende Soldaten, nahende Mädchen u. s. w.