inftes Kapitel.
Die Bildnerei seit Canova.
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reste überwundencr Kulturstufen zu entfernen, die sich für das allein
Lebensfahige halten, weil eine verkehrte Staatsraison aus solchen mor-
schen Balken die Stützen des wankenden Staatsgebäudes zu machen be-
liebt. Diese Kämpfe werden zu Ende geführt werden, und wer zweifelt
daran, dass die Völker siegen müssen? Sind aber erst jene freien Staats-
verfassungen, das Ideal des gesammtcn modernen Ringcns, geschaffen,
in welchen die Menschheit sich nach langer Unruhe und Unbehaglichkcit
wieder wohnlich einrichten und zu fortschreitender Verbesserung sich
entwickchi kann, dann erlebt auch die Kunst wieder eine Zeit wahrer,
höchster Blüthe. Den Monumenten, die wir jetzt schon unseren grossen
Männern setzen, werden dann noch ganz andere folgen.
Aber auch die religiöse Kunst, die in emincntem Sinn ideale, wird
dann eine neue grosse Blüthe erleben. Warum sie heute darniederliegt, das
verschuldet nicht etwa eine lrrcligiosität des Zeitalters, sondern die
Feindseligkeit, welche die Vertreter der spezifischen Kirehlichkeit gegen
die Freiheitsbestrebungen der Gegenwart hegen, die gehässige Aus-
schliesslichkeit, mit welcher die Träger der confessionellen Parteien sich
überall als Erbpachter des einzig wahren Christenthums geriren. Findet
die Kirche in dem freien Staate der Zukunft ihre eigene Freiheit, gewinnt
sie ihre vielfach verscherzte Würde dadurch wieder, dass sie sich nicht
mehr in das weltliche Gebiet des Staates mischt, dann wird es sich zeigen,
dass die Zeiten nicht irreligiös geworden sind. Nur dazu ist die Gegen-
wart zu entwickelt, dazu hat sie zu viel vom Wirken und Walten der
Geschichte und des christlichen Geistes in der Geschichte kennen gelernt,
um ferner mit leeren dogmatischen Gerüsten, mit hohlem kirchlichen
Formelwesen ihr religiöses Gefühl abfinden zu lassen. Sie will lebendi-
ges Brod, nicht mehr Steine. Wer heutigen Tages auf den sittlichen
Gehalt des Christenthums als das allein Wahre, Schöpferische der Welt-
religion hinweist, dem wird das wohlfeile Spottwort des "Rationalismus"
zugeworfen. Sei es drum: dennoch liegt in jener sittlichen Macht das
einzig Weltbewegende der Christuslehre. Und das ist gewiss: sobald
dies auicrkannt und zur Geltung gebracht wird, haben wir wieder ein
christliches Gesammtgefühl, unbeschadet der mannichfachen kirchlichen
Formen, in die nebenbei sich die Religiosität der Einzelnen und der Völker
kleiden mag. Nur aus einem Solchen Gesannntgefühl kann eine acht
religiöse Kunst wieder erwachsen. Bis dahin werden wir höchstens eine
kirchliche Tendenzkuiist haben. Dann aber werden wahrhaft religiöse
Werke des tiefsten christlichen Gehaltes wie Rietschels Pietas nicht mehr
vereinzelt bleiben.
Religiöse
Plastik.
C
L ü
Gesch.
der Plastik.
ihßoäi