Fünf
tos Kapitel.
Die Bih
lnerui seit C21
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selbst wenn unsere Frauen nicht so Inonströs eingeschnürt und auf-
gebauscht, und wir Manner nicht so nüchtern eingewickelt waren, wie
wir sind: schon der häufige Wechsel der Mode liesse das Auge nicht zu
ruhigen Eindrücken kommen. Durch wie viele Wandlungen hat diese
launenhaftestc und modernste aller Göttinnen bereits seit Canova's Auf-
treten die heutige Welt hindurchgeschleppt, und mit welchen Ueber-
raschungen beschenkt sie uns noch jeden Tag! Selbst an die ungünstigste
'I'racht kann sich die Bildnerei gewöhnen, und selbst der widerstrebend-
sten Form vermag sie einen gewissen plastischen Reiz abzugewinnen:
aber wenn das Auge fortwährend in dem gestört wird, was es als die
normalen Verhaltnisseeiner menschlichen Gestalt aufzufassen hat; wenn
es sich bald an mathematisch dürre Parallelfiguren, bald an wandelnde
(ilockenungeheuer als das allgemein Gültige der menschlichen Erschei-
nung gewöhnen soll, so verliert es die Ruhe und die nothwendige Sicher-
heit der [Feberzcugung in diesem kaleidoskopischen Wechsel der Formen.
Wir verlangen heutigen Tages mit Recht, dass die gefeierten Männer
unserer Geschichte, dass unsere Dichter, Denker und Befreier uns in
voller lcibhaftiger Gestalt, wie sie unter uns gewandelt haben, nicht in
einer antikisircnden Verkleidung vorgeführt werden; aber wir vergessen,
dass wir dtuch-unsere modische Verandcrungssueht den Bildhaucrn die
Lösung dieser Aufgabe tinendlich erschweren.
Erwagt man dies Alles, so wird schon daraus die Nothwendigkeit
des fortgesetzten Studiums der antiken Werke für unsere Plastik sich er-
geben. Denn je weiter eine Zeit in ihrer äusseren Erscheinungsform sich
von der menschlichen Schönheit ins Barbarische entfernt und recht
gründliche Barbaren sind wir in dieser Hinsicht um so mehr thut ihr
Noth, den gefährdeten Schönheitssinn zu starken und zu lautern durch
die Schöpfungen einer Epoche, die Allem was sie hervorgebracht, das
Gepräge des ewig Gültigen zu verleihen wusste. Und sogar die letzte
Spur von Gefahr, die ehemals in solchen Studien liegen konnte, ist
jetzt verschwunden. Denn wer vermöchte mit gelehrten Exercitien nach
der Antike unserer Gegenwart den Eindruck eigenster künstlerischer
Schöpfungen zu geben! Machen wir doch dieselbe Erfahrung so oft auf
der Bühne, wo selbst die geistvollsten Reconstructionen antiker Stoffe
keinen freien Herzensantheil mehr zu wecken vermögen. Unsere Kunst
muss innerlich national sein, das heisst nicht in dem engherzigen politisch
tendenziösen Sinn, den man so oft dabei unterlegt, sondern in der allein
wahren Bedeutung, dass ihre Schöpfungen aus dem Boden unseres
eigensten geistigen Lebens aufblühen. Halt man diese Grundlinie fest,
so wird sich selbst aus dem allegorischsymbolischen Ziergarten, dessen
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