Fünftes Kapitel.
Die Bil
dnerei
seit Canova.
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bestätigt sich durch die imabschbare Anzahl höehstgeistreicher, leben-
sprühenrler, meisterlich behandelter Portraitbüstlen. Die berühmtesten
Manner der neuern Zeiten, Corneilltr, Racine, Fenelon, Montesquieu, La-
fayette, Cuvier, Alexander von Humboldt, Goethe, Schelling, Tieck, Rauch,
und viele andere sind von David in Statuen und Büsten so (largestellt
werden, dass man die geistigen Sympathieen des trefflichen Meisters aus
der frischen Unmittelbarkeit seiner Auffassung empfindet. Weniger glück-
lich war David, wo es sich um monumentale Werke dieser Art handelte.
Zwar fehlen solchen Arbeiten niemals die Vorzüge sprechender Aehnlieh-
keit und lebensvoller Natürlichkeit: allein da derMeister verschmähte,
seinen Naturalismus (lurch die äeht plastischen Stylgesetze zu dampfen,
so fehlt diesen Standbildern das Element, wodurch sie aus der Sphäre
gewöhnlicher Wirklichkeit in das Reich des Dauernden, allgemein Gül-
tigen gehoben würden. Dass er solchen Missgritfcn, wie bei der Statue
des grossen Conde (jetzt vor den1 Schloss zu Versailles) verüel, den
er in dem Momente darstellte, wie er seinen Kommandostab in die feind-
liche Schanze wirft, um ihn kämpfend zurüekzlierobcrn, lässt sich um so
leichter begreifen, da unter seinen Landsleuten selbst strengere Stylisten
bei solchen Gelegenheiten dem nationalen Drange nach dem effektreieh
gesteigerten Ausdruck des Momentanen nicht entgingen. Doch ist sein
Gutenberg-Denkmal in Strassburg darin weit glücklicher und darf über-
haupt als eins seiner gelungensten lllonumentztlwerke bezeichnet werden.
Hier ist nun die Bemerkung nicht zu unterdrücken, dass es den
Franzosen doch auffallend schwer, wenn nicht unmöglich zu werden
scheint, ein achtes historisch-monumentales Bildwerk zu schaffen. Liegt
es daran, dass sie so ungern Maass halten und gar zu leicht in das Ex--
treme gerathen? oder dass es ihnen nicht gegeben ist, die stille Grösse
eines bedeutenden Charakters zu würdigen und stets eine bestechende,
blendende, fortreissende Aeuserung, sei sie selbst theatralisch und über-
trieben, zum Gradmesser der Schätzung machen? Odcr sind die Ursachen
noch tiefer zu suchen, in der Richtung ihres gesammten politischen Lebens,
das dem freien Individuum keine Bahn der Wirksamkeit mehr gestattet,
sondern Alle unterschiedlos dem gleichen Zwangsgesetze unterwirft?
Obwohl David eine zahlreiche Schule gebildet und auf seine Zeit-
genossen vielfachen Einfluss geübt hat, kann man von eigentlichen Nach-
folgern seiner Richtung nicht sprechen. Doch glänzt in der naturalistischen
Auffassung wenigstens noch ein grosser Meister hervor: der Thierbildner
A. L. Barye, der das Thierleben mit einer Feinheit und Schärfe der Be-
obachtung wiederzugeben weiss, in welcher ihm kein Andrer auf dem-
selben Gebictc gleich kommt.