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Viertes
Buch.
Cläsingel
Poesie" zur Genüge beweisen. lüinige von seinen der Antike nachgedich-
toten Werken, dieunan in der Sammlung des Louvre sieht, zeigen ein
bedeutendes Talent für Aufbau und Linienführung, ein feines Gefiihl Ifür
den Umriss und dabei vollendete technische Meisterschaft. Wie grossartig
und energisch Pradier bisweilen sein kann, beweist der gefesselte Prome-
theus; wie lebendig und kühn in der Bewegung, bezeugt der Niobide
(1822). Reizend und liebenswürdig ist die Psyche, auf deren Oberarm
ein Schmetterling sich niedergelassen hat; lebcnsvoll anmuthig Atalailte,
die sich die Sandalen befestigt (1850); ganz vortrefflich auch die ver-
zweifelnde Sappho, das letzte Werk des Meisters. Dass Pradicr seiner gan-
zen Richtung naeh sich am Wenigsten für religiöse Darstellungen eignet,
beweist er in den für St. Clotilde und für die Madeleine gelieferten Arbei-
ten. Um so trcfflicher sind dagegen seine mehr in dekorativem Sinn
geschaffenen Werke. So die Statuen der ernsten und der komischen Muse
an der Fontaine Moliere; so auch die allegorischen Figuren an dem schön
aufgebauten Springbrunnen in Nimes, wo Feinheit der Form, edle und
klare Behandlung der Gewänder und besonders ein treffliches Liniengefühl
sich verbinden. Die beiden Schüler Pradiers, Lequesnc und Guillaume
sind als tüchtige Nachfolger ihres ltleisters hervorzuheben. Entschieden
ins Ueppige und selbst Lüsterne hat sich A. J. Clesinger verirrt, der durch
die von einer Schlange gestochene Frau (1847) und die Baechantiil (1848)
zuerst ein Aufsehen erregte, an Welchem die itehte Kunst den geringsten
Antheil hatte.
Lemnire,
Der klassischen Richtung huldigt auch Pleillppe Henri Lenzaire
(geb. 1798), de1' für das Giebelfeld der Madeleine das grosse ltelief des
jüngsten Gerichts (1826-1341) arbeitete, damit aber den Beweis lieferte.
wie wenig die rein antikisircnde Sculptur dem Geiste solcher christlichen
Aufgaben gerecht zu werden vermag. Ausserdem widerspricht dieser
Gegenstand, den das Mittelalter vermöge seiner Raumsymbolik so trefflich
zu schildern und so bedeutsam räumlich abzustufen vermochte, der
Anordnung in einem Tempelgiebel, der auf demselben Plane den Welt-
richter, die Engel und Heiligen, die Auferstandenen und die Verdammten
vereinigt.
Unter denen, welche das Stadium einer streng klassicistischen Auf-
fassung überwunden haben und ihre Werke aus einem feinen, an der
Antike geläuterten Naturgefühl her-verwachsen lassen, ist Franpois Bude
(1785-1855) einer der tretfliehsten. Von geistreicher Kühnheit, schlank
aufgebaut, edel in den lebensfrisehen Formen ist sein eherner Merkur im
Louvre. Hier hat die mythologische Bezeichnung nur noch den äussereu
Anlass gegeben, um eine jugendliche Gestalt in freier Bewegung sich ent-