Fünftes Kapitel.
Die Bildnerci seit Canova.
Daher sind ihre Bildwerke fast immer von einer äusserlich bestechenden,
ja blcndenden Form, die aber häufig ohne tieferen Ideengehalt ist.
Am meisten tritt dies bei der idealistischen Sculptur hervor. Dass
dieselbe in Frankreich sehr ausgedehnte Pflege fand, verdankt sie dem
innigen Verhaltniss, in welches sie zur Architektur gebracht wurde. Eine
Reihe von bedeutenden Bauwerken verlangten und erhielten ihre Aus-
schmückung von der Plastik, die dadurch sich in architektonische Raum-
bcdingungen fügen lernte und ein klares Stylgesetz erhielt. Aber fast
alle diese Werke stehen um einen merklichen Grad kühler, reilektirter,
dekorativer da als die ähnlichen in Deutschland geschaffenen. Die besten
Leistungen der Franzosen auf diesem Gebiet verhalten sich zu den besten
derDeutschen, wie die französische Tragödie zur deutschen, wie Racine's
Phäidra etwa zu Göthds Iphigenia; und das schliesst ihre Vorzüge wie
ihre Mängel ein.
An der Spitze (lieser klassicistischen Reihe von Bildhauern steht
Franpoß Joseph lßusio (1769- 1845), den man in einigen lllarmorwerken
der Sammlung des L ouvrc (llyazinth, die Nymphe Salmaeis, Aristäos) als
glücklichen Nachahmer der Antike kennen lernt, während eben dort eine
Madonnenbüste auffallend nichtssagend und empfindungslos erscheint. Eine
Art Martyrium seiner klassischen Richtung erlitt er bei der Aufgabe, die
Reliefs für die Vendömesaule zu arbeiten. Ausserdem schuf er das
Viergespann für den Triumphbogen des Carrouselplatzes. In der Cha-
pelle expiatoire, welche Ludwig XVIII. errichten liess, ist die Gruppe
rechts ein recht edel empfundenes, wenn auch nicht ganz glücklich auf-
gebautes Werk. Sie zeigt Ludwig XVI., wie er von einem Engel ge-
tröstet wird. Die Gruppe zur Linken, welche die Königin Marie
Antoinette von der "Religion" unterstützt darstellt, arbeitete Jean
Pierre Cortot (geb. 1787, gest. 1843). In den Linien trefflich entwickelt,
lässt sie eine tiefere Empfindung vermissen. Die Abstraktion hat zu
viel Antheil daran, und die Gestalt der Religion ist nicht lebendig genug
aufgefasst. Siesollte lieber das schwere Kreuz bei Seite legen, um der
unglücklichen Königin ernsthafter zu helfen.
Von Cortot ist auch die Gruppe im Giebelfelde des Palastes der
Deputirtenkainmer, eine allegorische Verherrlichung Frankreichs und der
Verfassung von 1830. Am Are de PEtoiIe arbeitete er das Relief, welches
Napoleon, gekrönt von der Vietoria, darstellt. Es ist klassisch langweilig.
Die weibliche Schönheit in dem rein sinnlichen Zauber ihrer Erschei-
uung hat keiner so vollendet geschildert wie der Genfer James Pradier
(1790-1852). Die höchste Vollendung einer schwellend weichen Marmor-
behandluug kommt ihm dabei zu Statten, wie seine Phrync und die "leichte