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Viertes
der Entwicklung der dortigen Bildnerei gerechte Zweifel hegen. Das
kürzlich errichtete Reiterbild König Ludwigs von Wirlnnßann unterschei-
det sieh Zwar durch Feinheit der Ausbildung und liebevolle Sorgfalt der
Durchführung vortheilhaft von den meisten übrigen dortigen Denkmälern :
allein die Grundidee desselben König Ludwig ist halb mittelalterlich,
halb modern gefasst, und sein Pferd wird von zwei Pagen begleitet-
hat etwas so Unplastisehes, Sehwankendes, dass nothwendig die monu-
mentale Wirkung und die harmonische Gesammthaltuxig darunter emplind-
lieh leiden musste.
Tllkßhl
Wien.
Neuerdings ist Joseph Knabl als glücklicher Erncuerer mittelalter-
lichcrHolzschnitzerei aufgetreten, dcren innerliche Empfindung er in edel
geläuterten Formen zur Anschauung bringt. S0 _an dem prächtigen Hech-
altar der Frauenkirche. Nur ist leider ein richtiges Verhältniss zur Poly-
chromie des Mittelalters dabei noch nicht wieder gefunden. In solchen
Fragen wie überall kommt man nicht mit halben Maassregeln durch. Ent-
weder hat der Künstler an Farben gar nicht gedacht, und dann ist jede
Bemalung vom Uebel; oder er hat sich auf den Beistand der Farben ver-
lassen, dann muss die Polychromie in entschiedener Weise durchgeführt
werden. In München hat man einen unglücklichen Mittelweg eingeschlagen.
In Wien hat ein Schüler Schwanthalefs, Fernkorn, durch einen
frischeren Naturalismus jene romantische Richtung zu beleben versucht.
S0 in der eifektv oll bewegten Cemposition des h. Georg, der den Lindwurm
erlegt. Das ileuerdings errichtete Reiterstandbild des Erzherzog-s Karl
vcrratll dagegen bei kräftig entwickelter Bewegung einen empfindlichen
ltlangel an plastischer Geschlossenheit und fallt mehr ins malerische
Gebiet.
Franziisisc
Plastik.
In Frankreich hat die moderne Bildnerei sich seit dem Ende des
vorigen Jahrhunderts, wo Chaudet ihr das Streben nach strengem Klassi-
cismus gab, in ähnlichen Richtungen ausgebildet, wie in Deutschland.
Aber doch mit ganz anderen Erfolgen. Der Franzose strebt in allem
Schaffen, durch sein grosses formales Talent getrieben, nach äusserlicher
Vollendung, nach dem Reiz der sinnlichen Erscheinung. Fülle der Ge-
danken, Tiefe der Empfindung lässt er nur so weit zu, als ihm darüber
die flüssige Ausprägung der Form nicht beeinträchtigt wird. Daher hat
er gerade für plastisches Schaffen eine unleugbare Begabung, die schon
im 13. Jahrhundert glänzend hervortrat. Aber er fallt, wie damals eben-
falls ersichtlich wurde, auch um so leichter in convcntionelle Manier.
Dazu kommt die Neigung zu leidenschaftlich bewegten Schilderungen, die
aber, anstatt auf tiefer Auffassung des Psychologischen zu beruhen, sich gar
leicht mit thczttrzilischen Atfekten, mit dcklamatorischein Pathos abfindet.