Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

Fünftes Kapitel. 
Die Bildnerei seit Cauova. 
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Göthe dem Dichter und Sehinkel dem Architekten eine Dreizahl, welche 
dem gesammten Reiche der Kunst neue Gesetze erobert hat. 
 Diese Wiederherstellung einer ächten Idealkunst sollte aber auch 
für jene andre Seite des bildnerischen Schaffens von grösster Bedeutung 
werden, welche sich mehr der Darstellung des geschichtlich und indivi- 
duell bedingten Lebens widmete. In den letzten Zeiten der absterbenden 
Zopfkunst hatte man den Bildnissen, namentlich bei öffentlichen Denkma-  
len, eine falsche, hohle, aus rhftektation hervorgegangene Idealität gege- 
ben. Statt zu idealisiren war man dadurch sehliesslich in unfreiwilligcs 
läarikiren gerathen. Gegen diese Manier bedurfte es eines Zurückgehens 
auf die einfache Wahrheit der Natur. Schon im 15. Jahrhundert hatte 
der deutsche Kunstgeist die ihm innerlich vorzugsweise zusagende Auf- 
fassung des individuellen Lebens in seiner ganzen Schärfe mit grossem 
Erfolge zur Herrschaft gebracht, ja sogar auf Gegenstände eines ewig gül- 
tigen idealen Gehaltes angewendet. Jetzt "galt es diese alte längst ver- 
sehüttete Bahn wieder zu eröffnen und durch tiefes Eingehen auf (las 
Charakter-volle der individuellen Erscheinungen auch diese Seite des plasti- 
schen Schaffens neu zu beleben. 
Das Verdienst, diesen Weg mit lilntschiedenhcit eingeschlagen zu 
haben, gebührt dem BCPÜIIGI" Johann Gottfried Sclzazlon; (1764M-1S50). 
Schon sein Lehrer Johmzn Tassaerl (1729- 88), der letzte Ausläufer 
jener Kette von niederlaiulisclleii Künstlern, die in Berlin thätig waren, 
hatte in den Standbildern der Generale Seidlitz und Keith auf dem Wil- 
hclmsplatze sich der Anwendung des Zeitkostüms zugeneigt, aber noch 
nicht ganz unbefangen darin bewegt. Schadowls WVerke geben nun in 
an spruehsloser Schlichtheit den vollen Eindruck des Lebens, der individuel- 
len Wahrheit. So mit liebenswürdiger Frische die iliarlnorstantibilde1' des 
Generals Ziethen und des Fürsten Leopold von Dessau, bisher gleich 
denen seines Meisters auf dem Wilhclmsplatz in Berlin aufgestellt, jetzt 
durch bronzene Nachbildungen vcrdritngtit). S0 ferner das Denkmal des 
Grafen von der Mark in der Dorotheenltirtzhe (laselbst, und das Standbild 
Friedrichs des Grosscn auf dem Theaterplaize zu Stettin. An dem 
Lutherdenkinal auf dem Markt zu Witteulaerg vermisst man den vollen 
ikusdruel: der geistigen Energie des grossen Reforniators; an dem Blücher- 
bilde zu Rostock musste Sehadow sich wider Willen idealistischen An- 
SPPÜGIIBH fügen. 
 Die Art, wie bei dieser Umgestaltung vorfahren wurde, beweist wenig 
Respekt vor den Kunstdenkmzzlen. Dem Vernehmen nach sind die Originale in (len 
Hof des Kadettenhauses versetzt werden. Es scheint demnach, dass dort die at- 
mosphärischen Einflüsse minder schäicilich sind als auf dem Wilhelmsplatze.
	        
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