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Buch.
Viertes
den Kranz überreicht, den er von seinem Haupte gencmmen. S0 rein
das Werk in den Formen und der Empfindung ist, streift es doch wieder
an jene scenischen Oompositioilen der früheren Zeit.
Von Standbildern und Denkmälern sind erwähnenswerth der ergrei-
fend einfache sterbende Löwe, als Sinnbild der Treue bis in den Tod, an
dem berühmten Denkmal zu Luzern (1821), die eherne Reiterstatue Kur-
fürst lilaximilians I. zu München, das Marmorbild des unglücklichen
Kenradin, welches der jetzige König Max von Baiern in S. Maria (lel
Carmine zu Neapel nach 'l'h0rw'aldsens Entwvurf errichten liess; ferner
das Standbild Gutenbergs zu Mainz und das Schillerdenkmal zu Stutt-
gart, sämmtlich ZWiSChßIl 1832-39 ausgeführt. Bei diesen Werken, so
viel Edles und zum Theil Gelungenes sie auch aufweisen, fühlt man jedoch,
dass Thorwaldsens Genius zu aussehliesslich dem Idcalgebiete angehörte,
um die scharf ausgeprägte Gestalt geschichtlicher Individuen in charakte-
ristischer Bestimmtheit wiederzugeben.
In seiner späteren Lebenszeit wandte sich Thorwaldseil ähnlich wie
Dannecker und Flaxman dem christlichen Steffgebiete zu und schuf seit
den zwanziger Jahren einen Kreis biblischer Gestalten, der wie eine zweite
Welt jenen Werken klassisch-antiker Anschauung gegenüber tritt. Kein
Gebäude neuerer Zeiten hat einen Schmuck aufzuweisen wie die Frauen-
kirche zu Kopenhagen, deren gesammte plastische Ausstattung von
Thorwaldsen hergestellt wurde. Im Giebelfelde sieht man Johannes den
Täufer in der Wüste predigend, in der-Vorhalle r-inen grossen Frics mit dem
lilinzugiChristi in Jerusalem, sodann in der Kirche noch eine Anzahl Re-
liefs aus (lemlieben Christi, seine 'l'aufe und die lüinsetzung des Abcndmahls,
die Standbilder der ZWÖlf Apostel und in (lerAltarnisc-lie die kolossale Chri-
stusstatue, zu der er sechs Modelle gemacht, da ihm keines der ersten
fünf genügte. Ferner gehört zu dieser unverglevichlichen Ausstattung der
Schöne Engel, der das Taufbecken hält, und in der Altarnisehe eine um-
fangreiche Fricsdarstellung des Zuges Christi nach Gülgzlillit, die man an
Ausdehnung und Bedeutung dem Ivries des Alexanderzuges gegenüber-
stellen kann. In diesen Werken, besonders in der edlen (Thristilsgestalt
hat antike Formschönheit mit christlichem Inhalt von Neuem ein inniges
Bündniss geschlossen.
Die Fruchtbarkeit Thorwaldsens war so gross, dass sein Lebensbe-
schreiber die Anzahl seiner einzelnen Werke auf mehr als 560 angiebt. S0
skizzenhaft die Andeutung ist, auf die ich mich hier beschränken muss, so
erhellt doch auch daraus zur Genüge, welch durchgreifenden Einilnss der
grosse Meister auf die Entwicklung der modernen Bildnerei gewonnen
hat. In wahrhaftcr Neubelelanng antiken Schönheitssinnres bildet er mit