Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

Fünftes Kap 
Die 
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hellenischen Zeitnoch einmal auflebte. Als er 1797 nach Rom kam, stand 
dort Canovzfs Gestirn in seinem Zenith; aber schon 1803 angesichts der 
ersten grösseren Schöpfung Thorwaldsens, des Jason, dessen erstes Mo- 
dell er zertrümmert hatte, um ein schöneres an die Stelle zu setzen, ge- 
stand der neidlose Canova selbst ein, hier sei „un stile nuovo e grandiose". 
Der edle Italiener mochte schon damals ahnen, dass einem Grösseren 
die Herrschaft der Plastik zufallen werde. In einer Reihe herrlicher Re- 
liefs, von denen ich Achill und Briseis, Achill und Priamtis, den vom 
Adler empor-getragenen Ganymed (Fig. 221), den in neun Tagen vollen- 
deten Tanz der lilusen, Sommer und Herbst, Tag und Nacht unter unzäh- 
ligen anderen nur beispielsweise herausgreife, entzückte Thorwaldsen die 
Welt durch eine Klarheit, eine strenge Einfachheit und vollendete Form- 
schönheit, welche seit den Zeiten der Griechen im Reliefstyl nicht mehr 
erblickt worden war. Seitdem darf man sagen, sind die einzig wahren 
Gesetze dieser Gattung wieder als Richtschnur für die Kunst hingestellt. 
In welcher Weise Thorwaldsen der Antike zu folgen und doch dabei neu 
und reich an eigenen Ideen zu sein wusste, bewies er besonders in dem 
Alexanderzuge (Fig. 222 bis 225), den er zunächst 1811 im Auftrag 
Napoleons für den Quirinal in Gips, naehmals für die Villa des Grafen 
Sommariva am Comer See in Marmor ausfiihrte. Wiederholt wurde das 
Werk dann für die Christiansburg zu Kopenhagen. 
Von den zahlreichen Statuen und Gruppen der idealen Gattung mögen 
ebenfalls nur beispielsweise einige wenige hervorgehoben werden. Ther- 
waldsen hat auch in diesen Werken den Grundakkord griechischer Plastik 
wieder angeschlagen: stille Einfalt und Ruhe. Das Leidenschaftliche, 
Enthusiastisehe liegt ihm fern; milde Würde und keusche Anmuth sind 
das Lebenselement seiner Kunst. In unbefangenem Selbstgenügen wie 
antike Götterbilder stehen auch seine Gestalten da. Sie lächeln nur in 
sieh hinein, als Ausdruck innerer Heiterkeit und Klarheit. Seit Miel1el- 
angelo sind es zum ersten Male wieder Wesen, die um ihrer selbst willen, 
nicht des Beschauers wegen existiren. Freilich fehlt ihnen jene dämonische 
Macht, jene tragische Hoheit, die den Gebilden des grossen Florentiners 
innewohnt. Sie sind nicht wie jene aus Sturmeswogen eines leidenschaft- 
lichen Gemüthes, sondern aus dem klaren Spiegel einer gelassenen Seele 
geboren. Aber eben desshalb theilen sie uns einen schönen Widerhall der 
eigenen heiteren Ruhe mit. Meist sind es jugendliche Göttcrgestalten, 
welche er gebildet hat: Venus, Merkur, Mars, Ganymed, Amor, Psyche, 
IIebe, Apollo. In diesen anmuthigen Wesen verkörpert er eine Schönheit, 
deren  Formenreiz auf dem tiefen Grunde eines ethischen Gefühlsin- 
haltes ruht. In Sieht antikem Geiste sind dann andere Bildwerlae geschaf-
	        
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