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Viertes Buch.
übrigens-damals die Nachahmung der Antike vorherrsehte, und was man
an der Antike vor Allem schätzte, erkennt man am besten aus der Mar-
morstatue von Napoleons Schwester Pauline in der Villa Borghese zu
Rom, die „im Kostüm der mediceischen Venus" auf einem Polsterbett
ausgestreckt liegt f).
Etwas wohlthuender berühren seine männlichen Idealgestalten. So
der Paris in der Glyptothek zu München, und der Hektor im Besitze des
Grafen Sommariva. Auch in manche Gruppencomposition geht diese ein-
fachere Empfindung über, wie in die bekannte von Mars und Venus
(Fig. 219). Wo dagegen die Aufgabe eine leidenschaftlichere Bewegung
verlangt, da verliert Ganova sich in übertriebene Muskulatur und in thea-
tralische Atfektation. Maassvoll erscheint noch eins seiner frühesten
Werke, der den Kentaurcn bezwingende Theseus, im sog. Theseustempel
zu Wien; aber in seinem Perseus tritt schon eine ilnglückliche Nachah-
mung des Apoll von Belvedere zu Tage, die um so ungünstiger wirkt, als
man dem modernen Werke die gefährliche Ehre erwiesen hat, dicht bei
den berühmtesten Antiken im Belvedere des Vaticans aufgestellt zu wer-
den. Wenn man vollends ebendort die beiden Faustkämpfei- Kreugas und
Damoxenes sieht mit ihrer widerlich übertriebenen Körperbilduug, dem
gemeinen Ausdruck der Köpfe und der brutalen Rohheit des ganzen Ge-
genstandes, so wird man gestehen müssen, dass Canova bei allem Ver-
dienst die Plastik doch wieder hart an den Abgrund geführt l1at, und dass
es anderer Meister bedurfte, um sie vollends zu läutern und zu befreien.
Ein wo möglich noch abseheulicheres Werk dieser Gattung ist der rasende
Herkules, welcher den Lichas gegen einen Felsen schleudert. Hier ent-
spricht dem Abschreckenden des Stoffes die schwülstigc Körperbildung
und der ins Grasse gesteigerte Ausdruck. .
Gegenüber allen diesen Werken, die selten einen reinen Eindruck
gewähren, ist nun aber auf einige grosse Grabdenkmäler hinzuweisen, in
welchen Canova zuerst wieder einen acht plastischen Ton angeschlagen
hat. Zunächst in S. Apostoli zu Rom (1782) das Monument Clemens XIV.
Ganganelli; oben der sitzende Papst, zu beiden Seiten Unschuld und Mas-
sigkeit. Hier ist, nachdem mit den Grabmälern so lange Zeit hindurch
Komödie gespielt wurde, wieder wahrhaft plastische Anordnung, Ernst
und Würde. Sodann in S. Peter das Denkmal Clemens VIII. Rezzonico
vom Jahre 1792 (Fig. 220) mit der edel empfundenen Gestalt des beten-
den Papstes und den gewaltigen Löwen als Grabeswächtern. Zwar fehlt
a") Die strenge Wahrheit verlangt indess die Bemerkung,
Hälfte nackend dargestellt ist.
dass die Dame nur zur