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Die Bildncrei seit Üanova.
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derts war es Peter Vischer, in welchem derBegriff einer verwandten Form-
vollendung sich zu reiner Schönheit entfaltete. In allen diesen Epochen
hatte die Antike unmittelbar oder mittelbar einen umgestaltenden Einfluss
geübt. Jetzt wurde sie abermals die Führerin der Plastik. Aber diesmal
war es von der grössten Bedeutung, dass ein Deutscher, der ebensoviel
vom Tiefblick des Gelehrten wie vom Formgefühl des Plastikers und der
begeisterten Empfindung des Dichters besass, der neue Dolhnetscher der
antiken Kunst wurde. Durch Winckelmann lernte die Welt jene Schöpfun-
gen zum ersten Mal in ihrer ganzen inneren Bedeutung erfassen; durch
ihn ward namentlich der Begriff der griechischen Kunst, wenn auch
zunächst für die Werke aus der Zeit des Phidias mehr durch Ahnung a.ls
durch Anschauung, wiedererwcckt. Aber bald darauf sollte aus dem bloss
Geahnten ein voll Angeschautes werden; denn seit die Denkmäler Athens,
die dem Gedächtniss Europas fast entsehwunden waren, durch Stuart und
Revett (1761,) zuerst in architektonischen Aufnahmen wieder bekannt ge-
macht wurden, war die Aufmerksamkeit auf jenen Sitz der edelsten Kunst
hingelenltt. Bald lernte man auch ihren plastischen Schmuck schätzen,
und seit Lord Elgin die Bildwerke des Parthenon und anderer attischer
hlonument-e nach England versetzte, ist für die Wissenschaft die volle
Würdigung, für die Kunst die erhabenste Anschauung der ewig gültigen
Muster gesichert.
Der Venezianer Anlonio Canova (1757-1822) ist der Erste, welcher
der Bildnerei ein neues Leben einhaucht. Reichbegabt und von beweg-
licher Phantasie, wendet er der Antike sein Studium zu lmd schöpft aus
ihrem- Stoffkreise die Anregungen für seine hervorragendsten Werke. Den-
noch vermag er sich nicht ganz von den Manieren der Zopfkunst zu be-
freien, findet noch nicht den Weg zur vollen Reinheit und Naivetät der
Auflassung und bleibt namentlich im Relief ganz in den malerischen Netzen
der früheren Zeit. Auch für die Einzelgestalt und mehr noch für die
Gruppe fehlt ihm jene Ruhe und Abgeschlossenheit, welche die Grundbe-
dingung aller acht plastischen Schönheit ist. Am besten gelingt ihm das
Anmuthige weiblicher Jugendgestaltcn, aber auch hier bleibt er fast nie
ohne einen halb sinnlichen, halb sentimentalen AnHug, ohne jene kokette
Grazie, welche seiner Zeit eigenthümlich war. Denn im überkünstelten
Haarputz, im weichlichen Lächeln, selbst im Schnitt seiner Frauenköpfc
erinnert er an jene Modegestalten, welche nach dem Untergang der Reif-
rockherrschaft in lächerlich engen Gewändern, hochgegürtet und wohlfri-
sirt, sich ganz aspasisch vorkamen. Zu den reinsten Gebilden weiblicher
Anmuth gehören seine Hebe im Museum zu Berlin und seine Psyche in
der Residenz zu München. Dagegen sind seine Tlanzerinnen etwas zu
Antonio.
Canova.