Fünftes
Kapitel.
Die Bildnerei seit Canova.
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Im Anfang des '18. Jahrhunderts ist in Wien ein ebenfalls durch
reineren Sehönheitssinil und edles Maass der Auffassung bemerkenswerther
Meister Georg Raphael Donner thätig (1692- 1741). Von ihm sind
die in Blei gegossenen eleganten Figuren der Vorsehung und der vier
Hauptflüsse Oesterreic-hs an dem 1739 errichteten Brunnen auf dem
neuen Markte ztu Wien. Aber selbst solchen vereinzelten Erscheinungen
eines frischeren Naturgefühls merkt man es an, dass sie sich in einer Zeit
allgemeiner manieristiseher Erschlaffung kaum vor der Ansteelzung zu be-
wahren vermögen. .
FÜNFTES
KAPITEL.
Die
Bildnerei
seit
Canova.
Gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts waren das Leben und die
Kunst auf einem äussersten Punkte der Unnatur und Verschrobenheit an-
gelangt. Was_ im 17. Jahrhundert wenigstens mit einer überströmendcn
Fülle von Kraft aufgetreten war, welkte jetzt in schwächlicher Naehblüthe,
der nicht selten die Zeichen greisenhaften Aberwitzes aufgepragt sind.
Wohl versuchten Einzelne sich aus dieser Versunkenheit zu befreien, indem
sie eine "Rückkehr zur Nattur" predigten; aber es mussten erst tiefer ein-
dringende, den inneren und ausseren Zustand der europäischen Mensch-
heit von Grund aus umgestaltende Umwälzungen vor sich gehen, ehe
jener Drang nach Wahrheit und Natur zu bleibenden Erfolgen führen
konnte. Wie die erschöpfte Zeit nach einer erfrischenden Wiedergeburt
lechzte, das fühlen wir dem stürmischen Enthusiasmus an, mit welchem
dieser Geist zu Tage ringt. Mit der jugendlichen Energie einer Sturm-
und Drang- Epoche tritt er in unserer nationalen Literatur auf; aber von
allen Seiten begegnen sich, wie durch elektrische Berührungen erregt,
die Gemüther, und auf allen Höhen des Geistes flammen gleichzeitig, wie
auf geheime Verabredungen, die Feuerzeichen dieser Revolution des ge-
sammten Lebens empor. Rousseaifs Emil erscheint 17 62; Winckelmanifs
Geschichte der alten Kunst 1764, genau zweihundert Jahre nach dem
Hinscheiden Michclangelds; und abermals zwei Jahre darauf, 1766, giebt
Lessing seinen Laokoon heraus. Welche Blüthe unsre Dichtkunst nach
Entartung
des Lebens
und der
Kunst.