Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

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Viertes Buch. 
Im übrigen 
Deutschland. 
gefasst, von so hohergeistiger Willenskraft erfüllt, so edel in der Haltung 
und so unaufhaltsam in seinem Einherreiten, dass kein anderes Reiterbild 
an feuriger Majestät sich diesem vergleichen kann.  Ebenso meisterhaft 
ist der Atlfbau des Ganzen, namentlich durch die vier gefesselten Sklaven 
des Unterbaues, denen man darnm einen gewissen Ueberdrang der Be- 
wegungen und der Formen gern zu Gute halt. 
Ausserdem sieht man im königlichen Stadtschloss zu Potsdam und 
in den Schlössern zu Charlottenburg und Berlin noch zahlreiche treff- 
liche Dekorationen Sehlüters. ' Mitten auf der Höhe seines künstlerischen 
Wirkens (1706) traf ihn das Missgeschick, dass ein alter 'I'hurm, welchen 
Schlüter für Anbringung eines in Holland gekauften Gloekenspiels  es 
war die Zeit dieser geschmaeklosen Liebhaberei!  herrichten und be- 
deutend erhöhen sollte, wegen fehlerhafter Construktion den Einsturz 
drohte und abgetragen werden musste. Sehlüter wurde vom Schlossbau 
entfernt und behielt nur seine Stelle als Hofbildhauer; aber seine Kraft war 
gebrochen. Innerlich zerrüttet blieb er noch bis 1713 in Berlin. Durch 
Peter den Grossen sodann nach Petersburg berufen, starb er dort schon 
1714. Seine Werke der Baukimstf) und der Bildnerei gehören zu den 
lebensvollsten und edelsten Kunstschöpfungen der ganzen Epoche. 
In. den übrigen Gegenden Deutschlands ist wohl seit dem Ende des 
17. Jahrhunderts noch manches plastische Werk, namentlich für Grab- 
mäler und Altäre, ausgeführt worden; allein das Meiste erhebt sich nicht 
über eine kraftlose, in allen Manieren der Zeit befangene Mittelmäs- 
sigkeit. Hie und da Weiss Wohl noch ein Künstler reinere Klänge an- 
zuschlagen; so Johann Lenz, der 1685 in einem edlen, weichen Natura- 
lismus und schöner Empfindung die lilarlnorfigur der schlummernden 
h. Ursula auf dem Grabe der Heiligen in ihrer Kirche zu Köln arbeitete. 
Aber solche Werke, in denen sich gleichwohl der naturalistiehe Sinn der 
Zeit charakteristisch spiegelt, gehören zu den seltenen Ausnahmen. 
 Einen grossen Baumeister nenn' ich ihn trotz deslUnglücks mit dem Münz- 
thurme. Und wenn neuerdings auch das Maass seiner eignenVerschuldung auf kriti- 
scher Goldwaage festgestellt worden ist (durch F. Adler in der Zeitschrift für Bau- 
wesen, 1863), damit ja nicht etwa auf dem "grossen Mäcen" der damaligen Berliner 
Kunst, König Friedrich I. der "schwerste Vorwurf" haften bleibe, sich durch Intriguen 
haben bestimmen zu lassen, so scheint mir doch der Vorwurf festzustehen, dass 
man einen solchen Mann von der Leitung des Schlosses zurücktreten liess und seine 
ganze künstlerische Schöpferkrzift untergrnb, um Mittehnässigkeiten an die Stelle 
zu bringen. Man soll es wohl gar den „grossen Miicenen" danken, wenn sie sich's 
gefallen lassen, dass grosse Künstler ihnen Paläste bauen, wie das Berliner Königs- 
schloss? '
	        
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