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Viertes Buch.
lmlßlliiilßß Nach alledem kann es nicht Wunder nehmen, dass nun auch die
Grabmäler dem Zeitgeschmack entsprechend umgewandelt werden. Mas-
senhaft in leerem Pomp (lehnen sie sich aus, strotzend von kostbaren
Marmorsorten; aber die Ruhe des Todes selbst wird mit theatralischem
Pathos entweiht, und die beigegebenen allegorischen Gestalten kokettiren
mit erlogenem Schmerz und falschem Wehklagen, oder werden geradezu
in eine dramatische Beziehung zu einander gesetzt. Dieser Gesinnung
entspricht es, dass Bernini die scheusalige Skeletgestalt des Todes in
diese Darstellungen einführt. So an einem seiner frühesten Gräber, dem
Denkmal Urbans VIII. in S. Peter, wo der Tod mit seiner Knochen-
hand die Grabschrift auf einem Marmorblatt vollendet. Wenn in früheren
Zeiten Skelctc auf Gräbern vorkamen, so erinnerten sie in ihrer Todes-
rnhe, allerdings furchtbar genug, an das allgemeine Menschenloos. Hier
aber, wo das Scheusal in gesehäftiger Hast thatig dargestellt wird, ist
der Eindruck der eines jenseits-aller Aesthetik liegenden (irauens. Ebenso
an dem späten Grabmal Alexanders VIL, wo das Skelet gespenstig un-
heimlich den riesigen Marmorvorhang, der die Thür zur Gruft verbergen
sollte, aufhebt, als wolle es zum Eintreten auffordern. Auch diese Mar-
mordraperieen sind eine kolossale Uebertreibnng der an mittelalterlichen
Gräbern vorkommenden bescheidenen Vorhänge. Das Beste an solchen
Denkmälern sind noch die Portraitstatuen, obwohl auch an diesen der
kokette Naturalismus mit virtuosenhafter Darstellung der Kleiderstoffe
prahlt.
Allwegorischo Wie nun in diesem berninischen Styl alle Gestalten in dramatische
lllgmmh Bewegung gesetzt werden, so können auch die allegorischen Figuren, mit
' denen man eine grosse Vcrsclnvendung treibt, nicht mehr in der ihnen so
nothwendigen Ruhe verharren. Sie müssen sich an dem allgemeinen Ko-
mödienspiel betheiligen und irgend eine Scene möglichst gewaltsam auf-
führen. Da giebt es Laster, die sich mit den Tugenden herumbalgen;
Zweifel und Ketzerei, die von der Religion unbarmherzig zu Boden ge-
schmettert werden, und was dergleichen feine Erfindungen mehr sind.
Der Widersinn der Charakteristik steht mit dem Aberwitz des Einfal-
les auf gleicher Höhe. Keiner unter diesen Künstlern hat so viel richtigen
Takt, zu empfinden, dass allegorische Bliguren in demselben Maasse un-
wahrer und unwahrscheinlicher werden, als sie aus dem ruhigen Sein her-
aussehreiten und uns allerlei theatralische Seenen vorgaukeln. Am
wenigsten verträgt man dergleichen in der so handgreiflich an den Stoff
gebundenen Plastik; viel leichter in der Malerei, und am ersten in der
Poesie. Immer jedoch gehört dies Gebiet nicht zum lebensvollsten im
Reiche des Schönen.