Viertes Kapitel.
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Die Bildncrei von
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macht jetzt den Stolz der Bildnerei aus, völlig ins Malerische sich zu ver-
lieren. Daher schildert sie gern die lliiirtyrei- in dem Momente des Todes,
am Boden liegend und in den letzten Zügen. So die selig gesprochene
Ludovica Albertoni in S. Francesco a Ripa (Cap. Altieri) und der nach
Beminfs Modell ausgeführte h. Sebastian in S. Sebastiano, bei denen
die edlere Auffassung doch immer nicht vergessen macht, dass die Wir-
krmg auf Kosten aller wahrhaft plastischen Gesetze erkauft ist. Ihren
höchsten Triumph feiert aber in den Augen der Zeitgenossen diese Sculptur,
wenn sie, in völliger Vermischung des Heiligen und Profanen, Seenen vor-
führt, wie die berüchtigte Gruppe der h. Therese in S. Maria della Vit-
to ri a. Hier ist die Heilige in hysteriseher Ohnmacht rücklings auf eine mar-
morne Wolke gesunken, während ein verbuhlter Engel im Begriff ist, ihr
den Pfeil (der göttlichen Liebe) ins Herz zu schleudern. Dass die religiöse
Ekstase hier ins sinnlich Lüsterne umsehlagt, ist, wie kaum bemerkt zu
werden braucht, nicht entfernt Resultat einer beabsichtigten Travestie,
sondern jener natürliche psychologische Prozess, dem die tiberreizte reli-
giöse Stimmung in der Regel anheimfallt. Glaubt man doch, gewisse tän-
delnde Verse pietistiseher Gesangbücher hier in Marmor übertragen zu
sehen. Fragt man aber, wo diese verbuhlte Atmosphäre enstanden
ist, so lasst sich nicht verkennen, dass ihre ersten Keime deutlich in
Correggids späteren Andachtsbildern zu finden sind, wo das Liebäugeln
zwischen den Heiligen und der Madonna denn doch schon einen bedenk-
lichen Grad erreicht hat.
Correggio ist auch der Ausgangspunkt für jene willkürliche Com-
positionsweise, welche nun in die Plastik eindringt. Er zuerst hat jenes
Balancircn, Reiten und Voltigiren auf Wolken in die Altarbilder eingeführt,
welches den architektonischen Bau derselben ebenso sicher untergrub, wie
seine Froschperspektive in den Kuppelgemäldeil zu Parma der Freskomae
lerei ihr monumentales Gesetz zerstörte. Aber geinalte Wolken, die durch
den Schmelz der Farbe und den Zauber des Lichtes den Schein ätherischer
Leichtigkeit erhalten, lassen sich noch vertheidigen. Wie will man aber
Berniniis barocken Einfall in Schutz nehmen, ganze Nischen über den Al-
tären als freien Raum zu behandeln und denselben mit Gestalten zu füllen,
die auf marmornen Wolkenballeil einherrutschell? Und doch bezauberte
diese ungeheuerliche Erfindung die Zeitgenossen dermassen, dass fortan
dies das Ideal aller Altar- und Nischen-Compositioilen wurde. Hundert-
fach wird das Auge in den Kirchen Italiens von solchen ungereimten Mar-
morherrlichkeiten abgestossen, WO auf Wolken eine Anzahl unwürdiger
Heiligen in theatralischer Verzückung gestikulirt und von einem Chor ebenso
entarteter Engel sekundirt wird.