Viertes Kapitel.
Die Bildnerei von 1560
1760.
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dieser Epoche nicht gering anzusehlagen; vielmehr weckt die Fülle der
Aufgaben eine Reihe von wirklich bedeutenden Talenten. Fragen wir
aber nach dem geistigen Gehalt, nach dem unvergänglichen Werth ihrer
Schöpfungen, so schmilzt die grosse Masse des Hervorgebrachten er-
schreckend zusammen, und die Persönlichkeiten der meisten Künstler ver-
sehivinden in dem typischen Manierismus, der fast Allen gemein ist. Denn
alle nationale Selbständigkeit hat in der Kunst jetzt für lange Zeit ein
Ende erreicht. Die zur todten Manier gewordene italienische Kunst be-
herrscht alle Länder mit der Gewalt einer Mode, der Alle sieh beugen.
Seltsames Geschick jener modernen Subjektivität, die Michelangelo
zuerst in seinen Werken als oberstes Kunstgesetz proklamirt hatte! Sie
vermochte in ihrer Consequenz wohl die heilsamen Schranken, die allem
künstlerischen Schaffen gezogen sind, niederzureissen und das Individuum
seinem Stoff und seinen Aufgaben souverän gegenüber zn stellen; aber das
wahrhaft Ursprüngliche individuellen Schaffens ging gerade dadurch ver-
loren. Denn in Ermangelung der wahren Gesetze der Kunst lehnte man
sich an die falschen Vorschriften des Manierismus. Freiheit des indi-
viduellen Geistes gedeiht nur innerhalb des Gesetzes; sie verstummt unter
der Herrschaft der Anarchie. Die Erzeugnisse der Plastik dieser Epoche
haben in allen Landeru unter sich eine Familienähnlichkeit wie die Statuen
des 13. Jahrhunderts sie nur hatten; doch mit dem Unterschiede, dass
jenen eine wahre Empfindung, diesen in der Regel nur die Atfektation einer
solchen zu Grunde liegt.
Woher kam aber diese Atfektation? Sie entsprang im letzten Grunde
daraus, dass die Kunst nicht mehr mit dem Volksgeiste zusammenhing.
Das Zeitalter des Despotismus war angebrochen; die Völker, die sich
während des Mittelalters in einem ununterbrochenen Krieg Aller gegen
Alle erschöpft hatten, sanken fast widerstandslos unter ein Joch, welches
sie zu Sklaven herabdrückte. Geistige Interessen gab es nur noch in den
nhöheren Kreisen der Gesellschaft." Losgelöst vom Boden des Volksbe-
wnsstseins, musste dies geistige Leben in sich selber vertrocknen. Die
Kunst am meisten; denn sie bedarf der ETfflSßllllllg aus den Fluthen des
Gesammtlebens. Jetzt wurde sie vornehm, höfiseh, diente nur der Ver-
herrlichung der Macht. Daher lilangel an Ideen, Ueberiluss an Phrasen;
daher Kälte und ein äusserliches Spiel mit Formen ohne Seele. Wo sie
aber auf Commando Begeisterung zeigen soll, da echauffirt sie sich ohne
innere Warme, wird theatralisch, affektirt, lügenhaft. Nur die Malerei,
beweglicher wie sie ist und auf breitere Basis gestellt, weiss sich neue
Gebiete zu erobern, in denen das wieder naturalistisch gesinnte Zeitalter
eine wirkliche Bereicherung des Anschauungskreises erfahrt. Die Plastik
Schwinden
der indiv.
Selbständig-
keit.
Mangel an
gei s tigenx
Gehalt.