Drittes Kapitel.
Italienische Bildnorei im
Jahrhundert.
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zeigt sich allerdings (gegenüber) der Genial der Dame (T 1598), und auch
der über ihm erscheinende Johannes ist viel nüchterner ausgefallen,
Michelangelo und seine Schule.
Gewaltig wie kein andrer Meister tritt der grosse Florentiner [Vliclzel-
angeln Buonarroli in das Gebiet der Plastik ein, um es völlig umzuge-
stalten und ihm neue Grenzen anzuweisen. In seinem langen Leben
(1475-1564) t) umfasst er alle Phasen von den Ausgängen der natura-
listischen Kunst des 15. Jahrhunderts, durch die Stufen der höchsten Ent-
wicklung bis in die ersten Regrmgen des Verfalls und des Manierismns.
Man hat nicht mit Unrecht gesagt: Michelangelo ist das Schicksal der
modernen Kunst geworden. Aber man darf nicht vergessen hinzuzusetzen,
dass eine geschichtliche Nothwendigkeit unaufhaltsam in dies Schicksal
hineintrieb, und dass es sich zunächst in seinem Geiste vollzog, weil er
von allen der grösste war. Selbst in Rafaels späteren Werken ist manche
Spur, welche uns schliessen lässt, auch Er würde sich schwerlich ganz
frei erhalten haben, wenn die vcrhangnissvolle Gunst des Himmels ihn
mit einem eben so langen Leben heimgesucht hätte.
Michelangelo ist Idealist in des Wortes strengster Bedeutung. In
seinen frühesten Werken strebt er nach einer vollendeten Schönheit, wie
sie in den Schöpfungen der antiken Plastik sich ausspricht. Er sucht für
sie nach einem allgemein gültigen Ausdruck und wendet sich vollständig
von der durch das ganze 15. Jahrhundert im Vordergrund stehenden Auf-
fassung individuellen Lebens ab. Er hat kaum jemals ein Portrait gezeich-
net oder gemeisselt, weil die zufalligen Züge des Individuums ihm zu weit
ausserhalb der Linie eines absolut Schönen liegen. Aber der Nachdruck
ruht überhaupt bei seinen Gestalten nicht auf der Bildung des Kopfes,
sondern in der Bewegung und Form des ganzen Körpers. Darin steht er
wieder der Antike nahe, mit der zu wetteifern sein höchster Ruhm ist.
Gewiss war seit den Zeiten des klassischen Alterthums kein Künstler er-
Llichel-
angelrfs
Stellung zu
Plastik
harakter
1er Kunst
standen von so eminent plastischer Anlage wie er; Wie bedeutende Werke
er auch in der Architektur und Malerei schuf, dennoch war und blieb die
Seulptur seine Lieblingsknnst. Mit der Mileh habe er sie eingesogen,
pHegte er zu sagen, Weil die Frau eines Steinmetzen seine Amme gewesen
war. Selbst die reinsten mid grüssten nnter seinen gemalten Gestalten,
Nach gorentiner Zeitrechnung 1474-1563; daher die verschiedenen An-
gaben, denen Iilßll in den Handbüchern begegnet. Für die Lebensgeschichte des
Meisters weise ich auf H. Grinzrnäv schöne Arbeit. Für die kritische Würdigung,
seiner Werke steht Jac. Burclchardl (Cicerone S. G65 E.) weitaus in erster Linie.