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Viertes
Buch
ein minder erheblicher Nachahmer Sansovinds. So in der Marmorgruppe
der Madonna mit der h. Anna auf dem Altarc von Or San Micchele zu Flo-
renz; so auch an dem Grabmal des Angelo Marzi Medici in der Kirche
der Annunziata. Selbständiger bewährt sich der doch immer durch
seine Lebensbeschreibung ungleich interessantere Bcnvevzuto Cellini
(1500_l572). Sein Hauptruhm als Künstler beruht auf jenen zierlichen
Goldsehmiedsarbeiten, wie deren die Ambraser Sammlung zu Wien in
dem berühmten Salzfass besitzt. Aehnlieh prachtvoll und elegant ein mit
getriebener Arbeit reich bedeckter Schild in Windsor Castle. Auch
in anderen Sammlungen findet man derartige Arbeiten oft von grossem
dekorativen Reiz und selbständigem künstlerischen Wcrthe, die man dem
Benvenuto zuzuschreiben pflegt. Franz I. schätzte den Künstler hoch
und berief ihn nach Frankreich zur Ausführung bedeutender Arbeiten.
Allein weder von den lebensgrossen silbernen Statuen, noch von dem kol-
lossalen Modell eines Mars ist eine Spur noch vorhanden: ein Verlust, der
indess schwerlich sehr zu beklagen ist. Denn das grosse Bronzerelief der
Nymphe von Fontainebleau, welches im L0 uvre aufbewahrt wird (Fig. 198),
ist zwar von" zarter Vollendung und Durchführung, auch in der Anordnung
ansprechend; aber der Lage fehlt die eigentliche Freiheit und Leichtigkeit,
und die Formen, namentlich (der langgestreckten Oberschenkel, erscheinen
etwas nüchtern und leer. Weit lebensvoller und markiger ist das später
ausgeführte Erzbild des Perseus in der Loggia de' Lanzi zu Florenz,
dessen treffliehes Wachsmodell die Sammlung der Uffizien bewahrt.
Ebendort eine vorzüglich ausgeführte überlebensgrosse Erzbüste Cosimds I.
Noch ein jüngerer Meister ist hier anzureihen: Vincenzo Dann"
(1530-1576), den wir schon als Vollender von Sansovinds Taufe Christi
erwähnten. Für das südliche Portal des Baptisteriums zu Florenz
arbeitete er die Enthauptung des Johannes in einer lebensgrossen Erz-
gruppe, in welcher die Gestalt des knieenden Täufers wie ein reiner Nach-
klang Sansovinds berührt, während der Henker und das zuschauende
Weib sich schon sehr conventionell gebärden. Von ähnlicher Art ist die
Erzstatrle Papst Julius III. auf dem Platze beim Dom von Peru gia, die
er in früher Jugend (1555) ausführte. Von ihm ist auch die jetzt im
Garten Boboli zu Florenz vorn rechts am Eingang aufgestellte Marmor-
gruppe eines Jünglings, der einen an Händen und Füssen gebundenen
Alten aufheben und forttragen zu wollen scheint. Dass damit der Sieg
der Redliehkeit über den Betrug gemeint sei, wird freilich Niemand dem
Werke ansehen. Ein bezeichnendes Beispiel von der Rathlosigkeit, in
welche selbst talentvolle Künstler fortan unrettbar verfielen, seitdem die
idealen Aufgaben mehr und mehr in einer frostigen Allcgoriegesucht Wurden.